Selten dürften sich deutsche Journalisten mit so großer Freude an eine Richtlinie des Presserates gehalten haben wie heute. In der heißt es:
Richtlinie 12.1 – Berichterstattung über Straftaten
In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.
Die Artikel über einen mutmaßlichen Massenmörder israelischer Staatsangehörigkeit, der offenbar aus rassistischen Motiven in den USA fünf Afroamerikaner gemeuchelt hat, wären in jedem Fall nicht halb so aufregend, wenn man jenes kleine Detail erwähnen würde, das sich unter anderem in der Jerusalem Post findet:
Abuelazam, a Christian, was born in Ramle, reportedly moved to the US as a child, but made several trips back to the town of his birth where his mother and several uncles live.
Dass man zugibt, der mutmaßliche Massenmörder ist ein Christ, ist ja schon äußerst großzügig und sicher hätte man es gerne weggelassen, aber ein Israeli kann ja auch mal konvertieren. Hätte man ihn – um genau zu sein – von vorneherein als arabischen Israeli bezeichnet, hätte die Meldung nicht das bewirkt, was man bezwecken wollte: Seht her! Was kann man denn auch von einem Israeli anderes erwarten, als morden. Genau wie bei der Erstürmung des blockadebrechenden Schiffes vor Gaza.
Margot
Diese Richtlinie (bzw. deren schwedischen Entsprechung, da ich eher die schwedische Presse verfolge) habe ich lange für gefährlich gehalten. Sie gibt nämlich öfters einen falschen Eindruck von dem Tatsachenverhalten. So sieht man z.B. öfters Aussagen, wie „Ein Schwede wird in Uganda von der Polizei festgehalten.“—wo dieser „Schwede“ zwar seit sechs Monaten schwedischer Bürger ist, aber bis vor wenigen Jahren in Uganda gelebt hat, die Mehrheit seiner Familie dort hat, das Rechtsystem besser kennt als die schwedische, usw. Hiermit ist die Situation eine völlig andere.
Hier könnte man zwar argumentieren, dass die Richtlinie solche Situationen nicht einschliessen würde („wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.“), aber so wird sie doch angewendet.
Schlimmer: Auch bei anderen Fällen, z.B. einem Überfall in Deutschland (Schweden) , kann der Identität des Täters relevant sein. Wenn sie unerwähnt verbleibt und die Verteilung von Kriminellen in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen variert, dann erreicht man genau das Umgekehrte von „Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren“—man erschafft ein zu positives Irrbild von der Minderheit.
In Folgerung: Es sollte immer eine ausreichende Angabe gemacht werden, während Über-Generalisierungen mit Grundsatzinformation zu dem Gefahr bekämpft werden. (Bei „ausreichende“ ist zu beachten, dass die Herkunft a priori relevant sein dürfte—genauso wie Alter, aber anders als Haarfarbe und Studiengang.)
Eine 19-jährige Irin wird als „Terroristin“ abgestempelt, seit sie Ihre Erfahrungen in der IDF bzw. Sar El geschildert hat.
http://www.jpost.com/Headlines/Article.aspx?id=185050