„Drei Halunken und ein Halleluja“ – so heißt eine italienische Westernkomödie aus dem Jahr 1970. Der Titel passt aber auch gut auf „Die Anwälte. Eine deutsche Geschichte“, das Buch zum gleichnamigen Film, der heute Abend um 21.55 Uhr auf Arte ausgestrahlt wird, auch wenn sich die Autoren Martin Block und Birgit Schulz sicher gegen diesen Vorschlag verwahren würden. Schließlich geht es um drei ehemalige Anwälte der außerparlamentarischen Opposition bzw. später der RAF, die einst einträchtig im „Sozialistischen Anwaltskollektiv“ wirkten, und dafür bringen die Autoren viel Sympathie auf. Einer allerdings, Horst Mahler, mutierte vom sozialistischen zum nationalsozialistischen Systemgegner und machte sich damit für die beiden ehemaligen Mitstreiter unmöglich: für Otto Schily, der immer schon so aussah, als sei er im Anzug zur Welt gekommen und sich zum Law&Order-Mann und beinharten Innenminister wandelte, und Hans-Christian Ströbele, der seinen linken Idealen treu blieb und nur seine Ansprüche herunterschraubte: Seit sich das System als übermächtig erwies, reitet der „Catweazle der Grünen“ (Reinhard Mohr) gegen erheblich kleinere Windmühlen wie eine McDonald’s-Filiale in seinem Kiez an und, steter Tropfen höhlt den Stein, arbeitet so unermüdlich im Kleinen daran mit, aus dem einst spießigen, intoleranten und autoritären Staat ein Land der Müslilöffler, Treehugger und Liegeradfahrer zu machen. Nicht ohne Erfolg, wie man zugeben muss: Der Mann, der einst wegen „Unterstützung einer kriminellen Vereinigung“ zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, wird stets konsultiert, wenn man eine dezidiert linke Stellungnahme braucht, und ist ein gern gesehener Gast in Talkrunden wie jener von Maybrit Illner, der Fleisch gewordenen Vuvuzela des Zweiten Deutschen Fernsehens.
Die Herren Schily und Ströbele haben sich heute nur noch wenig bis gar nichts zu sagen, und Horst Mahler („Heil Hitler, Herr Friedman!“) wird von beiden mit Nichtbeachtung gestraft. Dabei haben sie ihn, den Linksterroristen, 1971 und 1972 in zwei Prozessen verteidigt, und das kaum schweren Herzens. Seinerzeit sah die APO nicht ganz zu Unrecht die Bundesrepublik als muffigen, konservativ-autoritären Staat an und begann, Respektspersonen infrage zu stellen. Das war eine schöne Zeit, so hört man aus dem Buch (und gewiss auch aus dem Film) heraus – Aufbrechen alter Strukturen, notwendige Veränderungen, eine neue Debattenkultur. Ob allerdings der Republikanische Club, gegründet von linksgerichteten Intellektuellen wie Enzensberger, am Ende nicht viel mehr war als ein in der Wolle gefärbter Stammtisch, diese Frage stellen die Autoren nicht. Dabei wurden ja auch dort recht einfache Wahrheiten verkündet: Der Staat ist repressiv, ein Handlanger des US-Imperialismus (Vietnam!), die „Springer-Presse“ das Böse schlechthin, der Sozialismus die Lösung für die Mühseligen und Beladenen dieser Welt. Als der Student Benno Ohnesorg von dem Polizisten Karl-Heinz Kurras erschossen wurde, hatte man endlich einen Märtyrer. Der „Mord durch die Polizei“ (Mahler), also: durch die Staatsgewalt, war der Beweis für die gewaltsame Repression des faschistischen Staates gegen die APO. Welch eine Ironie der Geschichte, dass sich der Täter 2009 als Agent der Stasi entpuppte. Wie auch immer: Die heißblütigeren unter den Linksaktivisten sahen nun Gewalt gegen „das (Schweine-)System“ gerechtfertigt. Dass Bomben in Kaufhäusern nur sehr bedingt als Ausdruck des Protests gegen den Vietnamkrieg gesehen werden können, empfanden etwa die Mitglieder der Kommune 1 mitnichten so. Sie brachten am 24. Mai 1967 in zwei Flugblättern ihre Genugtuung über die Brandstiftung in einem Brüsseler Kaufhaus, die 322 Menschen das Leben kostete, folgendermaßen zum Ausdruck:
Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelte zum ersten Mal in einer europäischen Großstadt jenes knisternde Vietnamgefühl (dabei zu sein und mitzubrennen), das wir in Berlin bislang noch missen müssen. […] So sehr wir den Schmerz der Hinterbliebenen in Brüssel mitempfinden: wir, die wir dem Neuen aufgeschlossen sind, können, solange das rechte Maß nicht überschritten wird, dem Kühnen und Unkonventionellen, das, bei aller menschlichen Tragik im Brüsseler Kaufhausbrand steckt, unsere Bewunderung nicht versagen.
(…)
Wenn es irgendwo brennt in der nächsten Zeit, wenn irgendwo eine Kaserne in die Luft geht, wenn irgendwo in einem Stadion die Tribüne einstürzt, seid bitte nicht überrascht. Genauso wenig wie beim Überschreiten der Demarkationslinie durch die Amis, der Bombardierung des Stadtzentrums von Hanoi, dem Einmarsch der Marines nach China. Brüssel hat uns die einzige Antwort darauf gegeben: Burn, warehouse, burn!
Mahler gelang es, Fritz Teufel und Rainer Langhans herauszupauken, indem er den zynischen Text als nicht strafbare Satire darstellte. So schlimm waren der Staat und seine Gerichtsbarkeit also auch wieder nicht, wenn sie sich einer derart plumpen Argumentation geschlagen gaben. Immerhin wird Langhans seiner gerechten Strafe, wenn auch mit einiger Verspätung, nun doch noch zugeführt, öffentlich sogar – nämlich Mitte des Monats, wenn er ins RTL-Dschungelcamp einzieht.
Die Spätfolgen von 68 dürften Ströbele und den Autoren durchaus recht sein, Otto Schily schon fast zuviel. Horst Mahler ist ein Feind des Staates geblieben, nur dass er längst aus der rechten Ecke schießt. Für Menschen, welche die Glanzzeit der drei Anwälte bewusst erlebt haben, dürfte die 90-minütige Dokumentation nicht viele Neuigkeiten bereit halten, aber dennoch, aufgrund der Verknüpfung mit den drei Lebensläufen, durchaus von Interesse sein; ebenso wie meiner Generation, die den deutschen Herbst plus minus ein paar Jahre recht früh erfuhr. Der Terror versaute mir meinen 8. Geburtstag, als ein PLO-Kommando 11 israelische Olympiasportler ermordete (ein Massaker, das Ulrike Meinhof in der U-Haft enthusiastisch begrüßte), und den 13. Geburtstag, als die RAF Schleyers Begleiter ermordete und ihn selbst verschleppte. Für alle später Geborenen erklären Buch und Film recht anschaulich, wenn auch mit linker Schlagseite, wie sich Staat und Gesellschaft durch 68 ff veränderten und welche unterschiedlichen Wege drei Protagonisten der staatskritischen Szene einschlugen. Da sie nicht mehr miteinander reden, reden sie übereinander, jeder für sich: Schily, bemüht, keine Äußerung zu tun, mit der er sich den Vorwurf der Bescheidenheit einhandeln könnte, Ströbele mit der Gelassenheit des Altlinken, der nichts bereut, und der Holocaustleugner Mahler als einer, der gar nicht das Gefühl hat, „von links nach rechts oder von rechts nach links“ gewandert zu sein. Irgendwie biegen die gewieften Rhetoriker sich alles zurecht, eigentlich sind sie sich doch im Grunde alle treu geblieben, also bitte. Insofern würde auch ein anderer alter Filmtitel passen: „Die drei Scheinheiligen“, Deutschland 1964.
Arte, 21.55: Die Anwälte. Eine deutsche Geschichte
dass es sich bei Kurras um einen Stasi-Mann gehandelt hatte, wurde mit gelassenem Schulterzucken registriert (sofern es nicht komplett ignoriert wurde)
http://aron2201sperber.wordpress.com/2009/05/26/ein-ddr-spion-feixt-gegen-den-rechtsstaat/
dabei war der Tod von Benno Ohnesorg noch bis vor kurzem, noch die otberste Rechtfertigung für die linksextreme Gewalt:
http://aron2201sperber.wordpress.com/2008/09/22/ein-alter-68er-hat-einen-film-uber-die-raf-gedreht/
sehr streitbarer film. endet mit einem plädoyer mahlers ihm geld zukommen zu lassen! auch zwischen drin gibts inhaltliche sprünge, deren relevanz sich mir nicht erschließen. alles in allem eine gute idee aber durch die zurückhaltung der autorin beim erzählen und durch die auswahl der „historischen filmfragmente“ und die aussagen der protagonisten und den schnitt eher misslungen. meiner meinung nach kein guter film.
also mein Lieblings- und mich nie im Stich lassendes Antidepressivum mit diesen drei Waldschraten zu beschmutzen, das ist ein Vergehen, für das ich längere Zeit brauchen werde, um mir die passende Rache auszudenken.
Der folgeband enthält übrigens eine himmlische Beschreibung eines deutschen Paukbodens, noch besser als die von Mark Twain IMHO
Korrektur: Der Brand im Brüsseler Kaufhaus war keine Brandstiftung, sondern ein reiner Unglücksfall, was sich auch auf die juristische Wertung des Flugblattes ausgewirkt haben dürfte.
Und was Kurras betriffft: Es waren ja nicht nur die Schüsse, sondern die Aufarbeitung durch die west(!)deutsche Justiz, die damals die Leute so in Wallung brachten. Und dazu ist es unerheblich ob Kurras nun Stasi-Mann war oder nicht, der sich im übrigen ja kaum bis gar nicht vom westdeutschen Spiesser unterschied.
Mag stimmen, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass der Prozess gegen die Kommunarden sich um die Frage drehen musste, ob in dem Flugblatt zur Brandstiftung aufgerufen wurde. Dass dieser ziemlich eindeutige Aufruf keine rechtlichen Folgen hatte, widerlegt doch die Mär von der unnachgiebigen Justiz, so fragwürdig sie im Fall Kurras geurteilt haben mag.