„Wann kommt endlich Frieden in Nahost?“ fragt Jakob Augstein, so wie die Kinder auf dem Rücksitz „Wann sind wir endlich da?!“ rufen, sobald das Auto die erste Straßenkreuzung erreicht hat. Na, wenn die Araber sich endlich mit der Existenz Israels abgefunden haben!, möchte man mit Gideon Böss antworten. Die Frage Augsteins aber, der auch in der Betrachtung des deutschen Lieblingsthemas ganz der Sohn seines Vaters ist, ist natürlich nur rhetorischer Natur. „Im Zweifel links“, meint der Kolumnist Äquidistanz zu den Kontrahenten einnehmen zu müssen, und wenn das bedeutet, die fanatischen Gotteskrieger der Hamas mit dem Likud auf eine Stufe zu stellen.
Für die Mobilisierung ihrer Massen braucht die Hamas die Fortdauer des Kampfs ebenso wie die Konservativen in Israel sie brauchen. Beide schöpfen ihre Bedeutung aus dem Gefühl der ständigen Bedrohung.
Zwar hat die Hamas nie behauptet, sich bedroht zu fühlen, sondern eine ganz klare Agenda, die zum Kampf gegen Israel und die Juden überhaupt verpflichtet, und zwar bis zu deren vollständigen Vernichtung, und Israel muss sich nicht bedroht „fühlen“, wenn von Gaza bis Teheran immer wieder offen gedroht wird, aber das ficht Augstein Junior nicht an, der sich angeblich am liebsten von dem Konflikt „abwenden möchte“, aber wie bei einem grässlichen Autounfall gar nicht anders kann als, wenn auch nur mit dem linken Auge, hinzuschauen und seinen Senf dazu zu geben. Dass nicht der Nahostkonflikt selbst sondern die deutsche Obsession damit „ein Fall für die Psychopathologie“ sein könnte, dräut dem im Zweifel Linken nicht. So wie er auch nicht kapiert, um was es da eigentlich geht:
Darum hat – außer Saudi- Arabien – auch niemand so panisch auf den Umsturz in Ägypten reagiert wie Israel. Die Saudis fürchten um ihre Macht. Die Israelis um ihr Feindbild.
Rhetorisch geschickt nennt Augstein Israel in einem Atemzug mit Saudi-Arabien, wo Frauen nicht Auto fahren dürfen und man Dieben die Hand abhackt, dann weiß der Leser schon einzuordnen, wer hier wem irgendwie ähnlich ist. Papa Rudolf hats vorgemacht, indem er im Inhaltsverzeichnis des SPIEGEL in der Rubrik „Ausland“ stets Südafrika und Israel direkt hintereinander abdrucken ließ. Honi soit qui mal y pense.
Da nimmt es auch nicht wunder, dass Israels Befürchtungen, auch der kalte Frieden mit Ägypten könnte im Zuge einer Machtergreifung der Muslimbrüder über den Jordan gehen, Augstein unverständlich bleiben. Israel, so stellt sich das der kleine Moritz vor, besteht ja auf seinem „Feindbild“, obwohl es so viele reale Feinde hat, dass man nun wirklich nicht noch welche hinzuerfinden möchte.
Es gibt auf beiden Seiten Interessen, die durchgesetzt werden wollen, und es gibt auf beiden Seiten ein Leid, von dem man nicht lassen will.
Es gibt zwar nur eine Seite, die qua Selbstverständnis auf permanenten Konflikt erpicht ist, das Märtyrertum in Ehren hält und gewohnheitsmäßig darauf hinarbeitet, die Verluste beider Konfliktparteien zu maximieren, während auf der anderen Seite genau das Gegenteil der Fall ist, aber die Wahrheit irgendwo in der Mitte zu suchen, halten Leute wie Augstein ja für Ehrensache, auch wenn sie ahnen dürften, da nicht fündig zu werden – wie der Mann, der genau weiß, dass er seinen Autoschlüssel gegen Mitternacht irgendwo am Kneipenausgang verloren hat, aber unter der Laterne 800 Meter weiter sucht, weil da mehr Licht ist.
Die dämlichste Passage in Augsteins Text wollen wir aus dramaturgischen Gründen zum krönenden Abschluss zitieren:
Gerade hat die „Bild“-Zeitung dem israelischen Konservatismus wieder sekundiert und Obama für seine halbwegs ausgewogene Nahost-Rede scharf kritisiert: „In Israel wird man durch Frieden zum Volkshelden – wie Rabin. Bei den Palästinensern aber – wie Arafat – durch Terror.“ Ein vielsagend falscher Vergleich: Rabin ist bisher der einzige israelische Premier, der einem Attentat zum Opfer fiel. Der Täter war ein israelischer Terrorist.
Eine vielsagend falsche Schlussfolgerung, die zeigt, dass entweder a) Augstein absolut keine Ahnung hat, weswegen er sich – bitte, bitte! – wirklich so bald wie möglich von diesem Konflikt abwenden möge, dass er b) vernünftige Schlüsse zu ziehen nicht in der Lage ist oder dass er c) in böswilliger Absicht einfach Bullshit behauptet: Die Ermordung Rabins hat das ganze Land in Schockstarre versetzt, wochen- und monatelang trafen sich die Menschen am Tatort, um seiner zu gedenken, in einem fort wurden Rabins Verdienste gewürdigt, ein Gedenkkonzert veranstaltet (man denke an Shlomo Artzis „HaIsh HaHu“) etc. etc. – und Augstein tut so, als sei es der zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilte Mörder gewesen, den man als Helden verehrte. Nichts läge der Wahrheit ferner! Was hingegen hinlänglich belegt ist, von auf Israel fixierten Leuten aber beharrlich ignoriert wird: Von Rafah bis Jenin feiert man Selbstmordattentäter als Vorbilder, mit dem Segen der Regierenden, und die Bevölkerung gönnt sich zur Feier eines Bombenanschlags in einem Jerusalemer Café traditionell süßes Backwerk. Egal was man von „Bild“ halten mag: Die Aussage trifft 100-prozentig zu, und das Blatt steht damit auf jeden Fall klüger da als der Dichter und Denker Augstein.
Ähnlichen Schrott wie den aus Augsteins Tastatur übernimmt DIE ZEIT aus dem tagesspiegel: Allerlei „Widersprüche“ will der nicht genannte Autor in Bibi Netanyahus Rede vor dem US-Kongress entdeckt haben, fabriziert aber selbst hanebüchenen Unsinn wie diesen:
Die 67er-Grenzen seien „nicht zu verteidigen“. In den 67er- Grenzen hat Israel freilich in allen drei großen Kriegen triumphal gesiegt. Seit es sie im Sechs-Tage-Krieg extrem ausgeweitet hat, tut es sich militärisch schwer, sich selbst in kleineren Waffengängen durchzusetzen – oder schafft dies auch nicht.
Da spricht fürwahr ein Militärexperte! Was es für Israel bedeutet hätte, die vereinte syrisch-ägyptische Offensive vom 6. Oktober 1973 ohne die Pufferzonen auf dem Golan bzw. dem Sinai zurückschlagen zu müssen, ist eigentlich jedem klar – außer denen, die um jeden Preis Netanyahu auf die „Grenzen“ von 1967 festnageln wollen. Und was den Unterschied zwischen einem Krieg, den eine Armee gegen eine Armee führt, und einem „asymmetrischen“ Krieg ausmacht, in dem Terroristen wie im Libanon oder dem Gazastreifen aus dicht besiedelten Städten heraus Raketen auf zivile Ziele abfeuern, scheint nicht von Bedeutung zu sein, wenn einen die Zusammenhänge nicht interessieren, sondern auf Biegen und Brechen suggeriert werden soll, dass Israel auf strategische Tiefe locker verzichten kann, wenn ein Schreibtischhengst in Berlin oder Hamburg nur überzeugt genug aus dem Bürofenster wiehert.
Es fällt immer wieder auf: Das Bedürfnis, Israel permanent belehren zu wollen, steht gewöhnlich im umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Sachkenntnis. Ebenso gut müsste jeder, der hin und wieder Klassik-Radio einschaltet, sich auch berufen fühlen dürfen, einem weltberühmten Dirigenten zu geigen, wie er gefälligst den Taktstock zu halten hat. All diesen nervtötenden Besserwissern sei gesagt: Die Israelis entscheiden selbst darüber, was sie tun oder lassen, um ihr Überleben in einer feindlichen Umwelt zu sichern. Sie brauchen auch kein „Feindbild“, sie hören Nasrallah, Ahmadinedschad und al-Zahar, und sie sehen im Fernsehen, wie 30 Kilometer von ihrem Heim entfernt palästinensische Dreikäsehochs im Kampfanzug durch den Sand robben, und das reicht, um zu sehen, wohin die Reise geht. Wenn Euch der Nahostkonflikt bis zur Halskrause steht, dann wendet Euch doch von ihm ab und anderen Konfliktherden auf der Welt zu, es gibt genügend davon für alle. Von Osttimor, von der Westsahara, von Darfur, Somalia und anderen Brennpunkten habt Ihr zwar genau so wenig Ahnung, aber wenigstens geht Ihr dann zur Abwechslung mal anderen Menschen auf die Nerven.
Der wirkliche Papa vom Jaköbchen ist aber Martin Walser!
Weshalb wir uns auch nicht mit der Diskussion darüber aufhalten müssen, ob die Gene oder die Erziehung entscheidend waren – weder Augstein senior noch Walser könnte man der Sympathie für die Juden zeihen.
was die Grenzen von 1967 anlangt, hat der von mir sehr geschätzte Victor was Hübsches geschrieben
http://victorshikhman.blogspot.com/2011/05/obama-revealed-as-pro-settlement.html
wozu der ebenfalls von mir sehr geschätzte Elder of Ziyon bemerkte, er habe getweetet, daß er die Grenzen von 10. Juni 1967 sehr ansprechend fände.
In diesem Sinne habe natürlich auch ich gegen 1967 absolut nix einzuwenden, was immer die Israelis behalten wollen, es sei ihnen gegönnt und für was immer sie sich entscheiden werden, ist allein ihre Entscheidung.
Da habe ich keine Meinung dazu, außer der, daß ich sie uneingeschränkt richtig finden werde, die Entscheidung.
Du bist für das Selbstbestimmungsrecht der Israelis?! Shocking!
tja mit dieser simplen Feststellung, daß Israel ein souveräner Staat ist und es in der Natur eines solchen Staates liegt, daß er selbst entscheiden kann, habe ich schon so manch wackeren tiefdenkenden Editorial-Leser in Rage gebracht.
Es hört nie auf mich zu verblüffen, wie leicht die zum Explodieren zu bringen sind.
Irgendwie scheint die Kombination Jude und Souverän was Irritierendes zu haben.
Mir hat die Suche nach dem Grund für das immer gleichen Denkmuster keine Ruhe gelassen, nach welchem es für die Edelguten vom Spiegel völlig selbstverständlich ist, das Israel und/ oder die Juden und nur diese Schuld sind.
Dabei bin ich auf 2 Möglichkeiten gekommen:
Die erste:
Der Spiegel als solcher ist das wichtigste Werkzeug eines Narziss – hier auch im übertragenen Sinne. Und so stelle ich mir vor, dass so ein narzistisches Spiegel-Augsteinchen morgens seinen PC einschaltet, seinen letzten Artikel noch einmal aufruft und feststellt:
“Ich bin edel, ich bin gut, ich habe Recht und auf mich hört die Welt.”
Dann erfasst ihn die Schreibwut – es schreibt ihn sozusagen. Wenn der Artikel dann fertig ist, geht sein prüfender Blick noch einmal über das Geschriebene: hier noch ein hämischer Nebensatz eingeflochten, dort noch einmal Ursache und Wirkung vertauscht, an dieser Stelle noch ein bißchen Gift nachgegossen und auf jeden Fall noch einmal daraufhingewiesen, dass der Palästinenser von Geburt an gut ist und der Jude sowieso an allem schuld zu sein hat.
Ist der Artikel dann fertig vergiftet, wirft der Spiegel-Narziß noch einen abschließenden Blick auf seinen Monitor und stellt fest: “Oh, was bin ich edel und gut und schön und habe Recht“.
Danach der erhabene, magische Moment: die Stille vor dem Klick. Der Narziß wird jetzt zum Bestimmer der öffentlichen Meinung. Diese Sekunde des Bewußtseins: “Auf mich blickt die Welt. Auf mich hört die Welt. Mich zitiert die Welt” Was gibt es schöneres…
Vielleicht ist es aber auch vielviel einfacher und die Ursachen liegen hier:
http://www.profil.at/articles/1119/560/296514/die-flecken-aufdeckermagazins-der-spiegel
Dreck klebt, und zwar hartnäckig – bei manchem hilft nicht mal exzessives Waschen.
Grüße aus Berlin,
J.T.
LOL
aber lassen die beim Der Spiegel den Augstein überhaupt ran?
Übrigens, das Gefühl, daß ich gut bin, überkommt mich auch hin und wieder, wenn ich mal auf nen älteren Kommentar von mir stoße.
Ich traue mir das dann nachträglich gar nicht richtig zu, finde das Gefühl, nachdem ich mich noch mal vergewissert habe, daß ich das wirklich gewesen bin, recht erhebend und es ist mir meist noch eine Tasse Kaffee wert.
Ach, diese Augsteins! http://lindwurm.wordpress.com/2011/03/10/diese-augssteins/
„Halbwegs“ ausgewogen heißt bei Augi natürlich: noch immer zu Israel-freundlich.
Sauber plazierter Schuss des Revolver-Blattes. „Bild“-Leser wissen mehr – zumindest mehr als Augstein-Leser. Ist ausgerechnet die „Bild“ das einzige „Springer“-Blatt, das sich noch an die pro-israelischen Richtlinien seines Gründers hält? Von Springers „Schlachtschiff“, der „Welt“, kann man das ja nicht mehr sagen.
@ J.T.:
Augis Kolumne erscheint nur bei Spiegel online. Papas „Sturmgeschütz der Demokratie“ darf der Hilfskanonier nur selten aus seinem linken Protzkasten laden – falls überhaupt mal. Aber der Narzissmus der Richtschützen von der Hamburger Brandstwiete ist gut beschrieben.
P.S.: Man entschuldige die militaristische Ausdrucksweise dieses Kommentars …
och, was gibts denn gegen die welt? die haben zumindest noch clemens wergin und richard herzinger
… und Henryk M. Broder und Gideon Böss, und zumindest in Bezug auf Israel wäre auch Alan Posener zu nennen …
Ich weiß. Aber das sind letztlich Schönheitspflästerchen in einem unschönen Gesicht. Die Printausgabe der „Welt“ spielt oft genug eine ganz andere Musik als sie in der einen oder anderen Nische von „Welt Online“ erklingt.
das ist der grund warum ich auch nur die verlinkungen von der achse lese. aber gut, print ist halt nochmal ne andere redaktion.
@Silke & Malte S. Sembten:
Augstein jr. muß draußen bleiben: das wußte ich nicht.
Aber ehrlich: sympathischer wird die Truppe dadurch dennoch nicht.
Und um es mal ganz klar zu sagen: Irgendetwas in mir hat beschlossen: Es reicht, bis hierher und nicht weiter, diesen Quatsch nehme ich nicht mehr unwidersprochen hin. Bösartig zu sein – das beherrsche ich auch. Und wie! Und wo es noch nicht hundertprozentig klappt: Ich arbeite dran. Versprochen.
Grüße aus Berlin
J.T.
Ich weiß nicht, ob er draußen bleiben „muss“. Jedenfalls ist er nicht drin. Oder falls doch, dann nur ganz, ganz selten.
[…] einem weltberühmten Dirigenten zu geigen, wie er gefälligst den Taktstock zu halten hat. Claudio Casula, 26.05.11 über die deutsche […]
[…] dürfen, einem weltberühmten Dirigenten zu geigen, wie er gefälligst den Taktstock zu halten hat. Claudio Casula, 26.05.11 über die deutsche […]
[…] und Islamisten. Und ähnlich wie sein leiblicher Vater, der verhinderte Antisemit Martin Walser, hetzt Augstein junior auch gerne mal gegen Israel (was bei Spiegel Online meistens Ulrike Putz zufällt). So auch diese Woche in seiner Kolumne. […]
Der im Zweifel (?) Linke meint
und offenbart damit eine weitere Wissenslücke: Das Veto der USA spielt ja nur im Weltsicherheitsrat eine Rolle; in der Vollversammlung können die Palästinenser seit jeher auf eine stabile Mehrheit bauen, dort geht Quantität vor Qualität, und 100 Diktaturen machen sich einen Spaß daraus, 50 Demokratien zu überstimmen.
Das kommt davon, wenn man zu diesen Thema unbedingt seinen Senf geben will, Augstein ist da ja beileibe kein Einzelfall. Nur dass er eben komplett danebenliegt wenn er behauptet, Israel habe irgendeinen Einfluss darauf, wie sich die arabische Straße gebärdet. Dort nämlich gilt: Wer, wie Erdogan, besonders aggressiv gegenüber dem jüdischen Staat auftritt, wird zum Liebling der Massen. Der Versuch, Erdogan zu beschwichtigen, wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt. In diesem Sinne semmelt Augstein auch beim Stichwort „arabischer Frühling“ zehn Meter übers Ziel, denn jeder Araber, der von israelischer Seite Unterstützung erhält, wäre als „zionistischer Agent“ unter seinen Brüdern sofort erledigt. Dazu noch eine Anmerkung: Mubarak war alles andere als ein „Verbündeter“, er verlor kein gutes Wort über Israel, besuchte das Land in 30 Jahren nicht ein einziges Mal. Aber immerhin brach er keinen Krieg vom Zaun. Insofern wusste man in Jerusalem, was man an ihm hatte. Dass die Alternative möglicherweise noch schlimmer ausfällt, kann man sich im Westen zwar nicht vorstellen, in Israel aber muss man sich den Sinn für die unschönen Realitäten vor der Haustür bewahren. Der Sturm auf die Botschaft war ein Vorgeschmack dessen, was noch kommen kann. Auch dafür noch die Schuld bei Israel zu suchen, dazu gehört allerdings die Fähigkeit, eine Seite des Konflikts auszublenden und dafür beim Israel-Bashing jede Zurückhaltung fallen zu lassen.