Ganz Bethlehem ist von einer Mauer umgeben. Ganz Bethlehem? Nein…
Vorab eine Frage: Wäre ein deutscher Dokumentarfilm denkbar, in dem, sagen wir: einige Berliner vom Einmarsch der Roten Armee 1945 berichten („Sie vergewaltigten fast alle Frauen“, „Sie verübten unvorstellbare Gewalttaten“, „Sie stahlen uns alle Armbanduhren“), ohne dass wenigstens im Anschluss ein betroffen dreinschauender Guido Knopp ins Bild träte und mit salbungsvoller Stimme darauf hinwiese, dass all diese schrecklichen Dinge wirklich vorgekommen seien, jedoch in einem gewissen Kontext gesehen werden müssten? Etwa im Gefolge eines von Deutschen vom Zaun gebrochenen Angriffskriegs und unfassbarer Massaker in von der Wehrmacht besetzten Gebieten?
Ein Dokumentarfilm mithin, in dem kein Russe zu Wort kommt, keine einzige historische Einordnung vorgenommen wird, sondern die betroffenen Deutschen völlig unkommentiert alle Schuld auf die Russen abladen, sodass beim Zuschauer nichts anderes als der Eindruck erweckt wird, hier sei nur einer Seite Unrecht widerfahren?
Wohl eher nicht. Anders sieht es aus, wenn es um den Nahen Osten geht. In „Kinder der Steine, Kinder der Mauer“ lassen die Filmemacher Robert Krieg und Monika Nolte sechs Palästinenser und ein paar ihrer Verwandten erzählen, was Leute, die es nicht so mit dem jüdischen Staat haben, hören wollen. In 90 Minuten sind genau drei Fragen aus dem Off zu vernehmen, auf die wir noch zu sprechen kommen werden, ansonsten bleibt jede Aussage unkommentiert, geschweige denn kritisch hinterfragt. Vor einem Jahr missfiel das selbst der ZEIT, die sich sonst nicht zu schade ist, den Mythos vom ewigen palästinensischen Opfer nach Kräften zu befeuern. Der Meilenstein der Propagandafilmgeschichte lief damals im Kino und in der Besprechung wurde kritisiert, dass der Film „zu oft kommentarlos“ bleibe:
Unkommentierte Bilder geben eben nur vermeintlich ein objektives Bild der Wirklichkeit wieder.
Das ist, gelinde gesagt, dramatisch untertrieben. Denn ganz im Sinne des palästinensischen Credos „Lamento, ergo sum“ besteht der Film im Wesentlichen aus einer Aneinanderreihung von Anklagen, ergänzt durch abenteuerliche Interpretationen der Geschehnisse seit der ersten Intifada, einer deftigen Prise Pathos und unspannenden Bildern von alltäglichen Verrichtungen. Hin und wieder hält die Kamera auf aufgeregt umherlaufende Scharen von Ziegen und Hühnern. „Authentisch“ heißt das im Künstlerdeutsch.
Schauen wir uns den Film genauer an.
Das Filmteam besucht sechs Palästinenser Ende 20, die 1989 als Kinder, während der ersten Intifada, einmal mit zum Victory-Zeichen gespreizten Fingern für die Kameras posierten. Was ist aus ihnen geworden?, lautet die scheinheilige Frage der Autoren, dabei geht es ihnen, wie sich zeigen wird, ausschließlich darum, Israel von ihren Protagonisten auf die Anklagebank setzen zu lassen, ohne dass der Angeklagte die Möglichkeit hätte, etwas zu seiner Verteidigung zu sagen. In Filmemacherkreisen sind Anwälte Israels rar gesät, während an Anklägern kein Mangel herrscht. Krieg und Nolte suchen also Mohamed, Khader, Mosa, Baha´a und andere in Bethlehem auf und stellen eingangs die erste ihrer insgesamt drei Fragen aus dem Off:
„Früher wart ihr die Kinder der Steine – und heute?“
Die Kinder der Sprengstoffgürtel? Nein, das würde nicht ins Opferschema passen, also lautet die Antwort: „Die Kinder der Mauer, die bestimmt hier unser Leben.“
Die Gründe für den Mauerbau erfahren wir von den jungen Palästinensern nicht – und leider versäumen es auch die Filmemacher, auf dem Bau des Sperrzauns vorangegangene Terroranschläge hinzuweisen oder überhaupt auch nur ein einziges Mal das böse T-Wort zu bemühen. So erscheint die Maßnahme als reiner Willkürakt, und genau das ist beabsichtigt. Wer sich in der Materie auskennt, weiß zwar, dass insbesondere bis März 2002, dem blutigsten Monat der Terror-Intifada, etliche Anschläge in Südjerusalemer Stadtteilen von Bethlehemer Zellen der Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden verübt wurden, weil Terroristen aus Bethlehem, Beit Jalla und Beit Sahur ungehindert eindringen konnten, aber der Film erweckt den Eindruck, als habe Israel die „Mauer“ aus Daffke gebaut bzw. aus dem einzigen Grund, die Palästinenser zu schikanieren.
Man könne nicht mehr bauen, denn „Bethlehem wird von der Mauer dicht umschlossen.“ Wie eine 1,3 Kilometer lange Betonmauer eine Stadt von mehr als 25.000 Einwohnern „dicht umschließen“ soll, bleibt ein Rätsel – dessen Lösung freilich ganz einfach darin liegt, dass die „Mauer“ nur im Norden, an Jerusalem grenzend, errichtet wurde, während die Stadt nach Süden und Osten völlig offen ist. Das gibt nur leider nicht so eindrucksvolle Bilder ab wie das von unten abgefilmte Monstrum, zu dem die sechs Freunde nun aufbrechen, um, nun ja: zu lamentieren:
„Diese Mauer hier wird nur verschwinden, wenn die ganze Welt dafür ist“, meint einer. Irrtum! Die Mauer wird verschwinden, wenn kein palästinensischer Terrorist mehr motiviert ist, in Jerusalem einen Anschlag zu verüben. Das aber haben die Palästinenser selbst in der Hand, und wenn sie sich noch so oft als unmündige Kinder der Steine oder der Mauer gerieren.
„Heute sind wir alle in ein einziges großes Gefängnis gesperrt. Wir scheinen uns frei zu bewegen, aber in Wirklichkeit sind wir gefangen.“ Trügt der Schein also? Und wenn ja – warum sagt dann einer der Männer: „Meine Freunde wandern aus, weil sie hier keine Arbeit gefunden haben“? Nur einer von vielen Widersprüchen, denn zu Besatzungszeiten scheint alles besser gewesen zu sein, Mohamed & Co. sagen es selbst:
„Wie konnten uns frei bewegen.“
„Damals gab es keine Mauer und die Menschen lebten besser als heute.“
„Früher haben wir unsere Waren in Jerusalem und Nablus verkauft… Damit ist es jetzt vorbei…“
„In Jerusalem haben wir viel mehr verdient.“
„Früher haben wir in Israel gearbeitet, das geht jetzt nicht mehr.“
Da ist natürlich was dran. Die Frage ist nur: Warum hatten die Palästinenser früher Arbeit in Israel und heute nicht mehr? Könnte es sein, dass der Terror von Hamas, Fatah, Tanzim, Islamischem Jihad und Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden die Palästinenser dorthin gebracht hat, wo sie heute stehen? Dass die Terrorbanden gewissermaßen die Mauer gebaut haben?
Selbstverständlich, aber der Zuschauer wird es, jedenfalls aus diesem „Dokumentarfilm“, nie erfahren. Dafür sieht er Mohamed, Mosa, Baha´a und die anderen ihr mühsames Tagwerk verrichten: Einer drängt christlichen Pilgern vor der Geburtskirche billigen Tand auf, ein anderer schneidet Hühnern im Akkord die Hälse ab („Die gleiche Arbeit jeden Tag… was ist das für ein Leben?“), einer vertreibt im Auftrag der Kommune irreguläre fliegende Händlerinnen von der Straße. Wieder ein anderer ist einmal zu sehen, als er in einem protzigen Villenviertel vor Hauseingängen emsig herumwerkelt.
Ich arbeite in meinem Hauptjob bei einem Geldwechsler. Vor meiner regulären Arbeitszeit habe ich noch einen anderen Job. Ich arbeite in den frühen Morgenstunden als Reinigungskraft bei reichen Palästinensern.
Reiche Palästinenser?! Von dieser Spezies hat man hierzulande ja noch niemals was gehört. Offenbar ist Hühnerhälseabschneiden und Straßenhökerei kein unabwendbares Schicksal, sondern jenen vorbehalten, deren „Schule die Straße“ war. Bildung hat zwar keines der sechs „Kinder der Mauer“ erwerben dürfen, aber das hält sie nicht davon ab, munter drauflos zu philosophieren oder ersatzweise im Ingenieurswesen zu dilettieren:
Damals haben wir uns verteidigt und Steine geworfen. Die Israelis haben Stein für Stein eingesammelt. Jetzt bauen sie damit immer mehr Siedlungen.
„Siedlungen“ wie Har Homa, das auf einem Hügel thront und den Palästinensern ein ständiger Dorn im Auge ist. „Früher haben da Bäume gestanden, jetzt stehen da nur noch Häuser“, sagt einer, und legt mit einer Fußmattenweisheit nach, die – auch wenn wir nichts unterstellen wollen – ihren Ursprung durchaus in einer Scripted Reality haben könnte:
Wer Bäume entwurzelt, entwurzelt auch Menschen.
Nicht notwendigerweise, sonst müsste man alle Holzfäller wegen Freiheitsberaubung ins Gefängnis stecken, aber ein plakatives Statement muss ja nicht wasserdicht sein. Hauptsache, es dient dem weit verbreiteten, aber darum nicht weniger fragwürdigen Argument, darin liege die Wurzel allen Übels:
Diese Siedlungen werden auf jeden Fall am Ende für die Friedensverhandlungen das größte Hindernis sein… Die Israelis haben sich… auf keinen Baustopp eingelassen…
Haben sie wohl, und zwar auf ein zehnmonatiges Moratorium bis Ende September 2010, das von palästinensischer Seite mit Gesprächsverweigerung beantwortet wurde, aber auch auf diese Richtigstellung kann man lange warten. Hier zählt nur ein Narrativ, und das ist das palästinensische. Da lässt sich ungeachtet der Tatsache, dass man es längst besser weiß bzw. wissen könnte, das Ammenmärchen vom israelisch provozierten Ausbruch der „Al-Aqsa-Intifada“ aufwärmen:
„Die Lage hat sich so verschlechtert, seit Sharon mit Soldaten die Al-Aqsa-Moschee betreten hat“ (sic!), klittert einer der Männer ein Stück Zeitgeschichte, denn Sharon und die Sicherheitsleute haben die Moschee definitiv nie betreten. Indes haben die jungen Männer nicht nur eine eigene Meinung, sondern auch eine eigene Realität:
„Ja, mit Sharon 2000 auf dem Tempelberg fingen alle unsere Schwierigkeiten an“ – und nicht etwa mit dem Terror, dem schon 1994 viele Israelis zum Opfer gefallen waren. Die Schwierigkeiten fingen an, als die Israelis zurückschlugen: „Sie haben uns provoziert. Wenn sie uns provozieren wollen, benutzen sie dafür unsere Heiligtümer.“ Dass der Tempelberg auch Juden heilig ist – und nichts anderes wollte der damalige Oppositionsführer Sharon seinerzeit demonstrieren – kommt den Palästinensern nicht in den Sinn.
„Um die Palästinenser schmerzhaft zu treffen, sind sie zur Al-Aqsa-Moschee gegangen“, pflichtet einer bei. „Weil die Verhandlungen (zwischen Barak und Arafat, Anm. CC) gescheitert waren, wollte Sharon den Druck erhöhen und hat die zweite Intifada ausgelöst. Die Menschen demonstrierten massenhaft, es flogen immer mehr Steine.“
Es flogen vor allem Kugeln im Herbst 2000, aber das Steine-Motiv zieht sich durch den ganzen unsäglichen Film, von Selbstmordattentaten, Überfällen mit Schusswaffen und ähnlichen Vorfällen, die zu Tausenden verübt wurden, ist schlicht nicht die Rede.
„Während der ersten Intifada wurden nur Steine geworfen“, behauptet einer der Männer. Was nicht stimmt, so wie die ganze Mär von der vermeintlich größtenteils gewaltlosen ersten Intifada mit der Wahrheit nicht viel zu tun hat. Tatsache ist, dass mindestens 3600 Molotow-Cocktails flogen, und dass radikale Palästinenser während des Aufstands um die 1000 „Kollaborateure“ ermordeten – oder solche Landsleute, die dafür gehalten wurden. Gewalt, die von Palästinensern ausgeht, ist aber gewiss nicht Thema dieses Films.
So wird auch die Wiederbesetzung Bethlehems im April 2002 während der Operation Defensive Shield als israelische Aggression geschildert, die offenbar keine Vorgeschichte hatte. Schnitt: Israelische Panzer rollen in die Stadt ein.
Dann sitzt die junge Frau eines der Palästinenser auf dem Sofa. Eine Stimme aus dem Off: „Wie hast du die Wiederbesetzung Bethlehems erlebt?“ Es folgt eine Leidensgeschichte, deren Wahrheitsgehalt im Unklaren bleibt und u.a. beinhaltet, dass israelische Soldaten damals ihren Gefechtsstand im Haus der Familie einrichteten. Die Soldaten, denen so etwas auch keinen Spaß machte, boten der Familie immerhin Cola, Saft und Kekse aus ihrer Verpflegungsration an, aber selbst diese menschliche Geste wird entwertet, weil der Hausherr stolz verkündet, von solchen Leuten natürlich nichts genommen zu haben. Dass Israelis, die im Film ausschließlich als uniformierte Besatzer auftauchen, auch als Menschen in Erscheinung treten können, verrät der Vater eines der Protagonisten. Husein Kwazba war in besseren Zeiten (also vor der palästinensischen Autonomie) bei der Busgesellschaft Egged angestellt, in seinem Ausbesserungsteam war er der einzige Araber unter 17 Juden. Offenbar kein Problem: „Wir haben uns sehr gut verstanden und kamen gut miteinander aus… Ich habe jeden Monat gutes Geld verdient.“ Warum diese Zeiten vorbei sind, bleibt der Phantasie des Zuschauers überlassen. Der jedenfalls muss davon ausgehen, dass Israelis lieber auf alles schießen, was sich bewegt. So erzählt die – wie übrigens 90 Prozent der im Film vorkommenden Frauen – sichtlich adipöse Mutter eines der jungen Männer von ihren gefahrvollen Erledigungen (Brotbeschaffung wie im Warschauer Ghetto!) während der Intifada:
„Überall waren Soldaten, und die Journalisten fragten mich: Hast du keine Angst? Ich erwiderte: Nein, ich habe keine Angst. Die Soldaten wollen mich tot sehen, aber mein Leben liegt in Gottes Hand.“ Die Frage der ebenso ahnungslosen wie sensationsgeilen Pressefritzen ist schon dämlich genug, die Mutmaßung der Frau nicht minder – aber erklärt wird, wieder einmal, nichts. So sollen auch Bilder, die während des ersten Aufstands entstanden, etwa von Verhaftungen oder vom Abschuss von Tränengasgranaten, für sich stehen. Was den Vorteil hat, dass man um – für Anhänger der palästinensischen Sache – unbequeme Tatsachen herumkommt, etwa die, dass sich zu jener Zeit 150 radikale Palästinenser ungebeten in der Geburtskirche verschanzten, um der Verhaftung durch das israelische Militär zu entgehen. Die nicht minder durch die Nase gebohrten Berufskollegen von Krieg und Nolte schafften es damals, diese Ungeheuerlichkeit in ein von Israelis begangenes Vergehen umzuetikettieren, indem sie von der „Belagerung der Geburtskirche“ sprachen und schrieben.
Apropos: Wie ist denn das nun mit den Christen in Bethlehem? Die stellten 1948, im Jahr der Gründung des Staates Israel, noch 80 Prozent der Stadtbevölkerung und sind heute, nachdem Tausende Christen von islamischen Extremisten fortgeekelt wurden, nur noch eine Minderheit, wie groß oder klein auch immer die ausfallen mag.
Im Film hört sich das allerdings ganz anders an. O-Ton:
Hier in diesem Viertel gibt es 80 Prozent Christen und 20 Prozent Muslime. Wir leben alle wie eine große Familie zusammen.
Nicht, dass es in großen Familien nicht auch mal ganz schön knallen könnte, aber so hat es der ganz der Wahrheit und nichts als der Wahrheit verpflichtete muslimische Bürger Bethlehems sicher nicht gemeint. Alles in Butter also, jedenfalls nach dem arabischen Narrativ, demzufolge Israel die ans Paradiesische grenzende Harmonie in Palästina mutwillig zerstört habe. Etwa, indem es den arglosen Eingeborenen, die wirklich alles für den Frieden gegeben hätten, „aufgelauert“ habe, um sie dann hinterrücks zu überfallen. Selbst für die Bandenkriege zwischen Hamas und Fatah ist natürlich der jüdische Staat verantwortlich:
Unsere politischen Organisationen haben zusammengehalten, dann kamen die Israelis und spalteten sie.
Und setzten den armen Menschen in Palästina – einfach so – eine Mauer vor die Nase.
Ach ja: die Mauer.
„Ich hoffe, dass ihnen die Mauer auf die Köpfe fällt. Wie die Mauer in Berlin, die fiel auch erst nach langer Zeit“, meint eines der „Kinder der Mauer“. Ein Schelm, wer glaubt, so ein Spruch sei tatsächlich auf dem Mist des Tandhökers gewachsen. Im Film mutiert dieser aber, gemeinsam mit dem Hühnerhalsabschneider und der Reinigungskraft, zum Nahostexperten. Gemeinsam interpretieren sie sehr frei Inhalt und Umsetzung der „Roadmap“ („Wir haben alles so gemacht wie Israel es wollte, wie die Uno es wollte, wie das Nahost-Quartett es wollte, und Israel tut und macht, was es will!“) oder sitzen um eine große Landkarte der Westbank herum und beklagen den „Landraub“ seit dem Mauerbau und die vermeintlich zusammengeschmolzenen „Grenzen von 1948“, wobei von Jordanien keine Rede ist. Und dann die vielen Checkpoints! So ist es ein wenig überraschend, dass jemand aus der Runde spontan den Vorschlag macht, einen „Freund in Nablus“ zu besuchen. Für Gefängnisinsassen. als die sich die jungen Männer im Film darstellen, kein leichtes Unterfangen, sollte man meinen. Einer der Männer fragt denn auch (oder sagt aus dramaturgischen Gründen seinen Text auf):
„Was ist mit den Kontrollpunkten? Zwingen sie uns, auszusteigen?“
„Nein, nein, nicht mehr“, beruhigt ihn der andere. „Es ist seit kurzem ein bisschen leichter geworden.“ Und so machen die Sechs einen Ausflug, selbstredend ohne Frauen, passieren insgesamt zwei (in Worten: zwei) Checkpoints und werden an beiden auch noch lässig durchgewinkt. Dass dies wegen der verbesserten Sicherheitslage möglich ist, wird dem Zuschauer vorenthalten, sonst käme er womöglich auf den Gedanken, palästinensisches Verhalten (Terror oder nicht Terror?) könnte irgendeinen Einfluss auf ihre Lebensumstände haben.
Aber gönnen wir den sechs Freunden ihren Vatertagsausflug. Da geht´s mitunter heiter zu. Man passiert zum Beispiel eine Siedlung: „Mosa, hier darfst du nicht bauen!“, scherzt einer der Männer. Antwort: „Das geht mir am Arsch vorbei.“ Gelächter. Wieder der eine: „Mosa möchte hier vielleicht Land kaufen… Ein Palästinenser darf hier nicht bauen.“
Mag sein. Fest steht jedenfalls, dass ein Jude in Palästina nicht nur nicht bauen darf, sondern dass jeder Palästinenser, der Land an Juden verkauft, der Todesstrafe anheimzufallen droht. Muss der TV-Konsument, der sich den Propagandastreifen zur Geisterstunde zu Gemüte führt, aber auch nicht wissen. Der ist ohnehin einschlägig präpariert, weshalb ihn vor allem folgende Szene empören dürfte: Der Wagen passiert ein Feld mit angeblich gefällten Olivenbäumen bei Ma´aleh Adumim. Für namentlich deutsche Zuschauer dürfte das Maß nun endgültig voll sein, denn: Erst stirbt der Wald, und dann der Mensch. Weiß man ja.
In Nablus machen die Freunde einen Shopping-Abstecher und erwerben, ungeachtet der Klagen, sich rein gar nichts mehr leisten zu können, etwa Pampers für die Kinder, in einem Ramschladen ausnehmend scheußliche Kerzenständer und Aschenbecher aus Patronenhülsen. Es müssen nicht immer olivenholzgeschnitzte Kamele sein!
Wieder zurück aus Nablus, das mit seinen Wohnblöcken den auch aus ästhetischen Gründen gern verteufelten jüdischen Vierteln wie Har Homa durchaus ähnelt, sieht man die Männer beim Billard in einem ausschließlich von Männern bevölkerten Etablissement, in dem Yassir Arafat aus einem Goldrahmen grüßt, und beim entspannten Shisha-Rauchen. Einer schaut sich ein Video auf seinem Smartphone an, und man erkennt: Es ist kein iPhone, sondern nur ein popeliges Nokia-Modell! Das Elend im Nahen Osten hat viele Gesichter.
Sagten wir gerade Gesicht? Dann wäre eigentlich auch über Mosa Masalmehs Frau zu sprechen, deren rechtes Auge ein sehr unschönes Veilchen schmückt. Da dieses Detail jedoch nicht den Israelis angelastet wird, lässt sich über dessen Entstehung nur spekulieren. Vor der Kamera jedenfalls präsentiert sich ihr Mann als besorgter Vater seiner Kinder und Anwalt der weiblichen Emanzipation. Dabei sollten wir es bewenden lassen. Wer unbedingt mehr über das Ausmaß häuslicher Gewalt in Palästinenserfamilien erfahren will, möge bei Steven Pinker nachschlagen („Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit“, S. 610 ff). Auch in dieser Statistik nehmen die Palästinenser einen unrühmlichen Spitzenplatz ein.
Wie wir jedoch schon erfahren haben, ist von Palästinensern ausgeübte Gewalt in „Kinder der Steine, Kinder der Mauer“ nicht existent. Bombenattentate auf Cafés, Autobusse und Diskotheken werden notfalls wie folgt umschrieben:
Als dann während der zweiten Intifada die Waffen bei uns ins Spiel kamen, verschlechterte sich unsere Lage total… Ich wünschte, es wäre bei den Steinen geblieben.
Merke: Zu den Waffen wurde nicht etwa gegriffen, sie kamen ins Spiel, weiß der Teufel, wie. Steine waren seit dem mit der Einrichtung der Autonomie 1994 forcierten Terror mit Bomben und Schusswaffen zwar längst kein Thema mehr, passen aber nur zu gut ins romantische Bild vom arabischen David, der gegen den jüdischen Goliath antreten muss. Nur zur Selbstverteidigung, versteht sich. Daher ist das Programm von Fatah oder gar Hamas für Krieg und Nolte tabu. Sehr schade, denn ein nebenbei geäußerter Satz wie „Wäre die zweite Intifada friedlich geblieben, hätten wir wahrscheinlich alles erreichen können“ macht deutlich, wo das eigentliche Problem liegt. An dem sind die deutschen Filmemacher aber nicht interessiert. Ein von penetranten Saxophonklängen untermalter Kameraschwenk über einen Friedhof oder am Straßenrand hockende Gemüseverkäuferinnen älteren Semesters muss reichen, um die Trostlosigkeit der Situation sicht- und hörbar zu machen. Wer für den ganzen Balagan verantwortlich ist, ist sowieso klar. Und falls es immer noch nicht jedem klar sein sollte, schafft Mohamad Abhilfe: Im Internet-Café chattet er mit Ausländern und erzählt ihnen vom Leben in Palästina.
Ich berichte über die Mauer, über unser Leben. Ich schreibe ihnen, sie könnten hierher kommen, aber sie haben Angst, weil sie glauben, dass es hier nur Krieg gibt. Ich sage, dass die Israelis mittels Fernsehen und Medien ein falsches Bild über die Palästinenser vorspiegeln und über uns hetzen.
So etwas könnte Robert Krieg und Monika Nolte nicht passieren. Sie vermitteln lieber in einem als Dokumentarfilm getarnten Propagandastück ein falsches Bild von den Israelis. Und sie kennen keine Parteien wie Hamas und Fatah, sondern nur noch Palästinenser. (Nahost-)Geschichte wird längst nicht mehr von den Siegern geschrieben, sondern von den Verlierern, und deutsche Filmemacher reichen da, jedenfalls wenn es gegen die Juden geht, gern die helfende Hand. Gefördert von der Filmstiftung NRW.