Über Obamas Herausforderer kippt der SPIEGEL im Halbtagstakt kübelweise Hohn und Spott aus. Ein “oops” oder “ähm” im Statement, ein kurzes Zögern im Interview, und in der Hafencity reckt man triumphierend die geballten Fäuste: Versager! Vollidiot! Schießbudenfigur! Jetzt bist du geliefert!
Herbst 2012. Obama und sein republikanischer Herausforderer Mitt Romney sind auf Wahlkampftour. Das deutsche Sturmgeschütz der amerikanischen Demokraten feuert aus allen Rohren – und ist darauf vorbereitet, jede Situation angemessen zu interpretieren. Und das geht so:
(Obama hält eine Rede, Zuhörer sind passiv)
“Gebannt hängen die Versammelten an den Lippen des Hoffnungsträgers. Noch einmal beschwört der Präsident auf so unnachahmliche Weise die gemeinsamen Werte, die Amerika groß gemacht haben. Demokratie, Freiheit, Streben nach Glück – und jeder im Saal weiß, was hinter diesen schlichten Worten steht.”
(Romney hält eine Rede, Zuhörer sind passiv)
“Keine zehn Minuten dauert es, und der spröde Mittsechziger mit dem ergrauenden Haarschopf und den Ärmelschonern überm Charisma hat seine Zuhörer narkotisiert. Demokratie, Freiheit, Streben nach Glück – Romney kramt alle abgegriffenen, hohlen Phrasen hervor, die die Mottenkiste bereit hält. Erfolglos. Im Saal herrscht eine Stille wie im Kloster La Grâce-Dieu. Nur einmal schreckt ein knorriger Farmer aus seinem Sekundenschlaf und spendet spontan müden Applaus, offensichtlich im Glauben, die Rede sei schon vorbei.”
(Obama hält eine Rede, Publikum jubelt)
“Unglaublich, wie es Barack Obama nach all den Rückschlägen immer wieder schafft, dass ihm die Herzen der Massen zufliegen. Die Herzen der Minijobber mit der McDonald’s-Mütze ebenso wie die der Farmer in Illinois und der Büroangestellten in Boston. Die Partei weiß, was sie an ihm hat, und demonstriert beeindruckende Geschlossenheit.”
(Romney hält eine Rede, Publikum jubelt)
“Dass sich die Veranstaltung auf dem Niveau eines Kindergeburtstags bewegt, scheint den anspruchslosen Romney nicht zu stören. Das Klatschvieh goutiert noch jede Ungeheuerlichkeit des republikanischen Parteiprogramms: Empfindliche Strafen für Kapitalverbrecher, Unterstützung für Israel, keine vollständige Entwaffnung der US-Streitkräfte. Bei seinem Publikum kann Romney mit dieser harten Linie punkten. Wie besinnungslos jubeln sie ihm zu, Kritik ist diesen Herdentieren fremd. Man fühlt sich an einen Parteitag der KPdSU erinnert.”
(Obama spricht fehlerfrei)
“Wieder einmal demonstriert Obama, dass er ein begnadeter Rhetoriker ist, gegen den sich selbst Cicero ausnimmt wie ein lallender Dorftrottel.”
(Romney spricht fehlerfrei)
“Gewiss, er leistet sich keine allzu peinlichen Aussetzer wie seine Parteikollegen, aber der aalglatte Multimillionär spult einen seelenlosen Text ab. Nicht nur das Publikum fragt sich: Ist das ein Mensch oder ein Roboter?”
(Obama verhaspelt sich)
“Einmal passiert es doch, dem sympathischen Menschenfischer unterläuft ein “ääh”, doch dieser kleine Lapsus ist eine lässliche Sünde, die er spontan mit einer selbstironischen Bemerkung für sich zu nutzen weiß. Und seine Zuhörer wissen: Er ist einer von uns, ein Mensch mit kleinen Schwächen, zu denen er steht. Er kann sich das leisten, denn schon in der Schule und auf der Universität stellte er mit stets glänzenden Noten unter Beweis, zu welch exzellenten Leistungen er fähig ist.”
(Romney verhaspelt sich)
“Es kommt, wie es kommen musste: Romney fügt der endlosen Reihe von republikanischen Patzern und Peinlichkeiten ein weiteres unrühmliches Kapitel hinzu. “Ääääähm…” Lähmendes Entsetzen unter seinen Anhängern, die Präsidentschaft kann der grenzdebile Senior jetzt endgültig vergessen. Schon spitzen die amerikanischen Kollegen die Bleistifte, um ihre vernichtenden Kommentare zu verfassen. Aber mal ehrlich: Wer wird Romney vermissen, den Karriereristen, der mit seinen Bestnoten in der Schule und an der Universität jeden Tag demonstrierte, was für ein schleimiger Streber er war?”
(Teleprompter fällt aus, Obama ringt nach Worten)
“Eine technische Panne überspielt der Präsident souverän, lässt sich Zeit, feilt kurz, aber intensiv an der bestmöglichen Überleitung…”
(Teleprompter fällt aus, Romney ringt nach Worten)
“Jetzt ist er völlig von der Rolle. Romney ist verloren, versucht vergeblich, die Region der Großhirnrinde, welche sich in der Pars triangularis des Gyrus frontalis inferior befindet, zu aktivieren, aber da ist nichts. Gähnende Leere. In einem Duell in Dodge City läge er jetzt schon leblos im Staub der Straße. Das war’s, das ist das endgültige Aus für den Möchtegern-Präsidenten. Amerika bleibt einiges erspart, denn, mal ehrlich: Mitt heißt der Mann, und wer kann sich schon einen Präsidenten vorstellen, dessen Vorname mal Fausthandschuh, mal Flosse bedeutet?”
(Obama schließt Militäreinsatz gegen Iran kategorisch aus)
“Der Präsident beweist, dass ihm der Friedensnobelpreis zu Recht verliehen wurde. Dialog? Ja. Sanktionen? Ja, wenn es sein muss. Aber ein Krieg, der einen Flächenbrand im Mittleren Osten auslösen würde? Niemals.”
(Romney schließt Militäreinsatz gegen Iran kategorisch aus)
“Der ultranationalistische Rechtsausleger wirft seine Partei um Jahrzehnte zurück, in die unseligen Zeiten des Isolationismus. Die Supermacht Amerika stiehlt sich aus der Verantwortung. Das ist, man kann es nicht anders sagen, schändlich.”
(Obama droht Iran mit Militäreinsatz)
“Gewiss, er ist Friedensnobelpreisträger, aber er hat nie ausgeschlossen, dass er im äußersten Notfall auch andere Optionen erwägen könnte. Und dieser Zeitpunkt scheint nun gekommen. Obama hat sich diese Entscheidung von großer Tragweite nicht leicht gemacht.”
(Romney droht Iran mit Militäreinsatz)
“Ein Hardliner, ein Falke war Romney schon immer. Jetzt spielt er mit dem Feuer, scheint bereit, die halbe Welt in den Abgrund zu reißen, indem er ohne Not den Konfrontationskurs Richtung Teheran verschärft. ,Sollte der Iran Israel angreifen, werden wir handeln’ tönt Romney in Nibelungentreue zu dem zänkischen Zwergstaat in Nahost. Dabei hat Präsident Achmadinedschad lediglich angekündigt, mit den eben entwickelten Atomwaffen das zionistische Regime schon bald Geschichte werden zu lassen. Eines ist nun offensichtlich: Romney ist ein wahrlich gefährlicher Mann. Möglicherweise gefährlicher noch als Guttenberg.”
(aktualisierte Version eines älteren, gleichwohl beinahe prophetischen SoE-Blogeintrags)