24 Stunden Jerusalem – eine Doku über die Stadt und die Menschen, die dort leben. Das hört sich gut an, insbesondere, wenn man Jerusalem kennt und liebt. Man steht dafür vielleicht nicht um 6.00 Uhr auf und bleibt dann einen Tag und eine Nacht lang vor der Glotze kleben, aber, he: Jerusalem!
Jetzt die schlechte Nachricht: Das, was von morgen 6.00 bis Sonntag um 6.00 bei Arte und im Bayerischen Fernsehen gezeigt wird, ist zwar ein ambitioniertes und vor allem kostspieliges Projekt (über 2,4 Millionen Euro), der Erkenntniswert jedoch mehr als fragwürdig. Vor allem, seit die Verantwortlichen der „24h Jerusalem“-Doku und die arabischen Filmteams und Protagonisten zwei Mal von Extremisten unter Druck gesetzt wurden, das Projekt zu boykottieren: Die Abbildung der Realität vor Ort käme einer Anerkennung des Status quo gleich, so die Blockadekräfte; und diese wussten auch sehr genau, wie man dafür sorgt, dass die friedliche Koexistenz in Jerusalem nicht gezeigt wird. Die arabischen Teilnehmer knickten ein, die Macher auch, und schließlich filmte man getrennt: hier die Juden (gefilmt von Juden), da die Araber (gefilmt von Arabern) und daneben die Restlichen (gefilmt von Europäern), dergestalt eben die Apartheid abbildend, die von den palästinensischen Fanatikern gewünscht ist, denn mit Juden darf man nach deren Willen nichts gemeinsam machen. Das entspricht zwar nicht der Alltagsrealität vor Ort, aber immerhin der Auffassung der Projektleiter, die Stadt sei „geteilt“.
Geteilt war Jerusalem tatsächlich – zwischen 1948 (Eroberung Ostjerusalems durch die jordanische Legion, Halten des Westteils durch Israel) und 1967 (Eroberung Ostjerusalems durch die israelischen Streitkräfte nach Beschuss der Neustadt – also Kriegseintritt – durch Jordaniens Armee). Allerdings wird das entscheidende Geschehen jener Zeit – Vertreibung sämtlicher Juden, Zerstörung von 29 Synagogen, Schändung des jüdischen Friedhofs auf dem Ölberg, Weigerung, auch nur einen Westjerusalemer Juden an der „Klagemauer“ beten zu lassen – ausgeblendet, sodass dem uninformierten Zuschauer das Beharren der Israelis auf Kontrolle über ein geeintes, meinetwegen auch zwangsvereintes Jerusalem irgendwie widerrechtlich scheinen mag. Gerade diesem falschen Eindruck könnte man, so man es wollte, in den üppigen 24 Stunden, die zur Verfügung stehen, entgegenwirken, aber die Macher haben anderes im Sinn: die Unmöglichkeit einer alleinigen Herrschaft Israels über die Heilige Stadt herauszustellen und die „Besatzung“ Ostjerusalems zu beklagen, ohne die sich aufdrängende, weit unangenehmere Alternative (samt historischem Vorbild) zu zeigen.
Also sehen wir unter anderem: eine „Siedlerin“, die mit ihrer vielköpfigen Familie östlich der Altstadtmauern wohnt; einen Muezzin, der minutenlang ins Mikrofon jammert; einen Fotografen, der Schwierigkeiten hat, einen Fototermin mit einer chinesischen Schauspielerin wahrzunehmen; eine „Friedensaktivistin“, die sich für die Araber ins Zeug legt, dazu einen „Menschenrechtler“; eine arabische Großfamilie, der übel mitgespielt wurde oder auch nicht; einen Freak aus Russland, der sich von einem ominösen Gönner aushalten lässt und den Part des naiv-gläubigen Christen gibt; und: die Mauer, die Mauer, die Mauer!
Da auf Druck der üblichen Verdächtigen keinerlei Anzeichen für friedliches Mit- statt Nebeneinander gezeigt werden darf – worauf sich die Verantwortlichen, wie noch einmal betont werden muss, eingelassen haben -, sehen wir beide Bevölkerungsgruppen allein für sich herumwurschteln, also keine jüdischen und arabischen Ärzte oder Pfleger, keine Müllmänner gemeinsam bei der Arbeit.
Stattdessen: eine „geteilte Stadt“. Wie ungerecht, dass Israel sie allein beansprucht! Und dass es „keine Stadtverwaltung in Ostjerusalem“ gibt. Die gibt es zwar in Ostberlin auch nicht mehr, aber den Juden kann man eine Teilung ihrer Hauptstadt schon zumuten. Gut, theoretisch könnten sich die Araber Ostjerusalems – es gibt übrigens auch welche in Westjerusalem – an den Kommunalwahlen in großer Zahl beteiligen und ihre eigenen Interessen wahrnehmen, aber das wäre wiederum eine Anerkennung des Status quo, und das geht ja nicht.
Bleibt die Frage: Cui bono? Blöde Frage. Das Projekt nützt niemandem außer den Machern. Regisseur Volker Heise sagt denn auch, es sei ein „Programm von Europäern für Europäer“, mit dem man „niemandem helfen“ könne und wolle. Immerhin, das Sendungsbewusstsein geht nicht so weit, den Beteiligten in ihr Leben hineinquatschen zu wollen. Oder zu können, ließe sich etwas boshaft ergänzen.
So bleibt unterm Strich ein Projekt, mit dem sich Europäer ihren verqueren Blick auf die Dinge im Nahen Osten bestätigen. „Das wird hier mal alles jüdisch“ sagt die durchaus sympathische Mutter der „Siedlerfamilie“, als sie auf das Viertel im Osten der Stadt blickt. Aha, denkt der halbgebildete deutsche Nahostkenner, die wollen Jerusalem judaisieren und die Araber vertreiben! Dass die Juden seit Mitte der 90er-Jahre des 19. Jahrhunderts die Bevölkerungsmehrheit in der Stadt stellen, dass im Jahr 1967 knapp 55.000 Araber in Jerusalem lebten und heute mehr als 280.000, und dass auch ihr relativer Anteil an der Bevölkerung kontinuierlich steigt, wird man in „24h Jerusalem“ nicht erfahren. Auch nichts vom Miteinander von Juden und Arabern in der Stadt, von Schulen oder Volkshochschulkursen, in denen Seite an Seite gelernt wird – nichts.
Nichts auch über die Behauptung palästinensischer Geistlicher und Politiker, die Juden hätten keinerlei historische Verbindung zu Jerusalem, der Tempel habe sich nie über dem Berg Moriah erhoben und daher sei der Anspruch der Juden null und nichtig.
Schade ums Geld – und mehr noch um die Sendezeit. Es ließe sich mühelos – und weitaus kostengünstiger – eine einstündige Doku herstellen, die dem Zuschauer weit mehr über Geschichte und Gegenwart Jerusalems vermitteln könnte als 24 Stunden, in denen man 70 von 800.000 Bewohnern dabei zuschauen kann, wie sie ihren Kindern die Zähne putzen, frühmorgens durch die Grabeskirche schnüren oder Schulkinder zu einem reinlicheren Auftreten ermahnen, weil die „innere Reinheit die Reinheit der Nation“ bedingt, wie es in der arabischen Schule heißt. Kommentiert wird so etwas nicht, man kann sich aber etwas dazu denken. Wenn man will. Der Rest ist Manipulation – durch Auslassen, Andeuten und unwidersprochene Behauptungen. Eben ein Film von Europäern für Europäer. In Jerusalem leben die Menschen derweil ihr Leben, mal neben-, mal miteinander. Apartheid gibt´s im Fernsehen.