Das Problem mit der ZEIT: Antisemitismus, so glaubt man dort, ist eine Domäne der Rechtsextremen – man werfe nur mal einen Blick ins aktuelle Dossier. Tatsächlich sieht man am Hamburger Speersort den Wald vor lauter Barenboimen nicht.
„Wo ist die jüdische Intelligenz geblieben?“ fragt der Pianist und Dirigent Daniel Barenboim, den DIE ZEIT anstelle eines richtigen politischen Analysten zu Rate zieht, denn von dem Mann mit den vier Pässen (einem spanischen, einem argentinischen, einem israelischen und einem palästinensischen) bekommt man garantiert zu hören, was man hören will. Eingangs erwähnte Frage stellt man sich allerdings auch angesichts der Argumentation des Musikers und „Friedensaktivisten“. Die Highlights des Gesprächs möchten wir unseren Lesern nicht vorenthalten. Hören wir also, was Daniel Barenboim als Unbeteiligter zum Thema „Jüdische Intelligenz“ zu sagen hat.
Zu Beginn des Interviews fällt der Begriff „Selbstverteidigung“. Barenboim versucht es mit Ironie:
Natürlich. Wenn du ein anderes Land besetzt, dann musst du dich die ganze Zeit verteidigen.
Ohne jetzt noch einmal auf die Ursachen des Sechstagekrieges eingehen zu wollen: Wie erklärt sich Barenboim, dass Israel von einem Gebiet aus beschossen wird, das es komplett geräumt hat? Und warum wird aus der angeblich ebenfalls besetzten Westbank derzeit nicht geschossen? Könnte es sein, dass zwischen dem Verhalten der Palästinenser und ihrer Situation ein Zusammenhang besteht?
Diese Frage stellen Carolin Emcke und Jan Ross natürlich nicht. Stattdessen lassen sie ihren Gesprächspartner über das israelische Gefühl des Bedrohtseins schwadronieren. Dass der arabische Hass auf Israel mit Hitler und dem Holocaust zu tun haben soll, behauptet man in Israel zwar nicht, aber Barenboim behauptet, dass es behauptet wird – um es zu bestreiten. Natürlich gebe es Hass, aber der sei doch verständlich – wegen der Vertreibung. Dass ein Jude, der wie der Palästinenser „seit dem 11. Jahrhundert“ ein Haus besitzt, etwa in Bagdad, dorthin aber nicht zurückkehren darf, einen berechtigten Hass auf die Iraker hegen dürfte oder auch ein Schlesier auf die Polen, war von Barenboim noch nicht zu vernehmen, aber der palästinensische Revanchismus gilt ja auch als einziger als legitimes Anliegen.
Wenn die Blockade des Gaza-Streifens nicht da wäre, müsste man sie auch nicht auf diese übertriebene Weise sichern und aufrechterhalten.
Wenn die Blockade des Gaza-Streifens nicht „da“ wäre, lägen bald Tel Aviv und Netanya in Reichweite vom Iran gelieferter Raketen. Ach ja, und wenn die Hamas nicht mit Qassam-Raketen nach Israel hineinschießen würde, müsste es überhaupt keine Blockade geben; wobei Barenboim ja auch nicht von der ägyptischen Blockade spricht sondern von der israelischen, die allerdings die tägliche Versorgung mit Lebensmitteln, Brennstoffen, Medikamenten etc. zulässt. Aber noch mal zur Hamas: Was fällt dem Musiker dazu ein?
Wenn man Frieden schließen will, muss man mit allen Fraktionen des Feindes sprechen.
Leider verrät uns auch Barenboim nicht, was es mit der Hamas zu besprechen gibt. Vorschlag zur Güte: Er schaut sich zum Beispiel mal dieses Video an und dieses hier und dann sprechen wir uns wieder. Außerdem: Will die Hamas auch mit Israel reden? Egal, wichtig ist das israelische Nein. Der größere Teil der Verantwortung liegt nämlich immer bei Israel. Warum?
Weil Israel ein Staat ist, ein mächtiger Staat (sic!), und die Palästinenser keinen Staat haben. So einfach denke ich. Aber so denken die Israelis nicht.
Dafür gibt es zwar gute Gründe, nicht zuletzt die Zugeständnisse, die der mächtige 20.000-qkm-Staat Israel mit seinen sieben Millionen Einwohnern im Verlauf des so genannten Friedensprozesses gemacht hat, nur um dafür Terroranschläge, Kidnappings und Raketen zu ernten und 2000 Terroropfer zu Grabe zu tragen, aber Barenboim lebt ja auch in Berlin, wo keine Qassams einschlagen und ein paar Kilometer entfernt Leute das Sagen haben, die Kinder zum Kanonenfutter im Heiligen Krieg erziehen, um ihm und seinesgleichen beizeiten die Kehle durchzuschneiden. Der „Friedensprozess“ wird in Barenboims Interpretation der Dinge übrigens komplett ausgespart, Oslo und die palästinensische Autonomie hat’s offenbar nie gegeben, aber er fragt sich nicht, woher dann sein palästinensischer Pass kommt. Nein, Barenboim schwafelt über „Kolonialmächte“, die „für die Lebensqualität der lokalen Bevölkerung“ verantwortlich seien. Hier wäre es gewiss heikel zu erwähnen, dass Israel nie eine Kolonialmacht war, dass der Lebensstandard der Palästinenser während der Besatzung deutlich anstieg und dass seit 17 Jahren die Palästinensische Autonomiebehörde für „Schulen und Krankenhäuser in Ramallah“ zuständig ist, wofür sie schließlich mit Milliardenhilfsgeldern ausgestattet wurde. Aber palästinensische Verantwortung? Fehlanzeige. Für Fehler und Versäumnisse sind immer nur die anderen zuständig. Beispiel Verhandlungen: Wer hat da keinen Partner – Israel oder die Palästinenser?
Meinen Sie, die Palästinenser haben einen Partner? In Palästina haben sie Fatah und Hamas, und sie haben den dritten Weg der Mubadara… Einen dritten Weg, einen Mustafa Barghouti – das gibt es in Israel nicht.
Ob die Interviewer an dieser Stelle aufgelacht haben? Man fürchtet, nein. Dann helfen wir gern weiter: In der Knesset sind zurzeit zwölf Parteien vertreten, darunter drei arabische. Es regiert eine große Koalition unter Beteiligung der Arbeiterpartei, und selbst der als „Hardliner“ titulierte Regierungschef Netanyahu will – unter Auflagen – einen Palästinenserstaat zulassen. Barenboim aber tut so, als wäre ganz Israel ein unbeweglicher, monolithischer Block und preist groteskerweise die palästinensische Seite, wo sich die Terrororganisationen Hamas und Fatah mit Handfeuerwaffen bekämpfen und wo ein „Dritter Weg“ existieren mag, aber leider keinerlei Aussichten hat, im Gazastreifen, der keine Wahlen mehr erleben wird, oder in der Westbank, wo sich die Fatah an ihre Macht klammert, jemals eine Rolle zu spielen. Irrer geht’s nicht.
Wie man auf eine dumme Frage („Warum interessiert sich die israelische Gesellschaft nicht für die Palästinenser?“) eine noch dümmere Antwort gibt, demonstriert Barenboim so:
Es gibt in Israel keine Neugierde. Die Leute sind einfach total selbstbezogen.
Oder haben vielleicht auch keine Lust mehr, sich um die Palästinenser zu sorgen, wenn diese für Land nur Krieg zu geben bereit sind, wenn sie eine Mörderbande wie die Hamas an die Macht wählen und keinerlei Anstalten machen, den Kriegszustand irgendwann mal zu beenden. Aber wiederum: Schuld sind immer die anderen.
Wenn du mit ihnen über Shakespeare oder über Karl Marx sprichst, dann haben sie rationale Argumente, aber wenn du auf das Thema Palästinenser kommst, werden sie total blind. Das ist nicht zu erklären…
Doch, das ist zu erklären: Nicht die Israelis sind blind, Barenboim ist es. Im Gegensatz zu ihm haben die Israelis gesehen, was passiert, wenn man Terroristen vertraut und ihnen Land und Waffen gibt. Aber was zählen schon die Erfahrungen der Israelis, wenn ein berühmter Musiker, der 4000 Kilometer weit ab vom Schuss lebt, sich die Welt so vorstellt, wie er sie gern hätte? Rationale Argumente sehen zwar anders aus als das, was sich der Dirigent da zusammenschwurbelt, aber als Besserwisser vor dem Herrn weiß Barenboim natürlich, wie die Lösung des Nahostkonflikts auszusehen hat:
Ostjerusalem wird palästinensische Hauptstadt, die Siedlungen müssen weg, und dann muss noch ein bisschen Gebietsaustausch zwischen Israel und Palästina stattfinden.
Und wenn jetzt noch Fatah und Hamas entwaffnet würden, könnte das tatsächlich hinhauen. Vielleicht. Es blieben dann ja auch noch ein paar Kleinigkeiten zu klären, zum Beispiel die Rolle der Hisbollah, des Iran… Und da wäre noch das „Rückkehrrecht“:
Man kann es ihnen nicht verweigern. Das ist unmenschlich.
Mit anderen Worten: Barenboim plädiert dafür, dass sich Israel ins eigene Schwert stürzt. Womit er natürlich seinen palästinensischen Partnern aus dem Herzen sprechen dürfte, deren wie eh und je unveränderte Maximalforderungen er vorbehaltlos unterstützt. Im Gegensatz zu ihnen scheint er allerdings eine humoristische Ader zu haben:
Die Araber wollen eine pragmatische Lösung des Konflikts, und Israel will eine ideologische.
Könnte natürlich auch ein Beispiel für „jüdische Intelligenz“ nach Barenboim-Art sein. Na schön, es sind ja nicht die guten Argumente gefragt, sondern die richtigen, also die, die den Redakteuren eines liberalen deutschen Wochenblatts in den Kram passen. Da kommt ein jüdischer Israelkritiker gerade recht, der sich angeblich um das Land sorgt, weil „die Zeit nicht für Israel (arbeitet)“, schließlich seien die USA auf dem absteigenden Ast, jetzt kämen China, Indien und Brasilien, und er „kenne keine jüdische Lobby in Peking oder Neu-Delhi“.
Jüdische Lobby! Alles klar. Und da der Apfel nicht weit vom Pferd fällt, hat, so Barenboim, jetzt auch einer seiner beiden in Frankreich lebenden Söhne, die hin und wieder nach Israel reisen, „die Nase voll“:
Was habe ich mit Israel zu tun? Wir werden dauernd dafür verantwortlich gemacht, nur weil wir Juden sind. Das ist nicht in Ordnung.
In Ordnung ist es aber, die Juden für den Antisemitismus verantwortlich zu machen, auch wenn den gemeinen Judenhasser schon Notwehr gegen islamistische Gewalttäter in Wallung bringt. Oder die Genehmigung zum Bau von einigen Wohneinheiten in Jerusalem. Und wenn es sein muss, kommen ordinärer Antisemitismus und religiös motivierter Judenhass unter Muslimen sogar ganz ohne jüdisches Zutun aus.
Doch keine Sorge, Barenboim wird nichts passieren, er ist ein Jude, der sich vom jüdischen Staat distanziert, und so einer wird in Deutschland auf Händen getragen. Demnächst bekommt übrigens David Grossman den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Nicht, dass man den großartigen Schriftsteller, der ein feiner und liebenswürdiger Mensch ist, in irgendeiner Weise mit dem berühmten Musiker Barenboim vergleichen sollte – es sei nur erwähnt, um aufzuzeigen, wie die Auszeichnenden ticken. Die nämlich glauben, dass „die Spirale von Gewalt, Hass und Vertreibung im Nahen Osten nur durch Zuhören, Zurückhaltung und die Kraft des Wortes beendet werden könne“.
Ob Zuhören, Zurückhaltung und die Kraft des Wortes den Abschuss auch nur einer einzigen Rakete von Hamas oder Hisbollah verhindern, Erdogan versöhnliche Worte in Richtung Israel entlocken oder gar Ahmadinedschad dazu bewegen werden, sein Projekt der Islamischen Bombe aufzugeben? Hier muss das Wunschdenken unbedingt die Oberhand über den Verstand gewinnen, nach dem Motto: Selbst wenn täglich in der arabischen Welt der Schlachtruf „Tod den Juden!“ zu vernehmen ist, auf Feingeister wie Barenboim und Grossman muss man einfach hören, in der ZEIT-Redaktion tut man’s doch auch!
Andererseits: Wann ist denn die arabische Seite schon mal durch Zuhören und Zurückhaltung aufgefallen? Darf man die Aufforderung zum Zuhören auch für den Fall anwenden, dass auf YouTube gezeigt wird, was der iranische Präsident von sich gibt, oder auch Abbas, wenn er dem Verhandlungspartner wieder mal „Massaker“ und „Kriegsverbrechen“ vorwirft? Und gibt es auch nur ein einziges Beispiel dafür, dass Zurückhaltung einen zum Krieg entschlossenen Feind jemals besänftigt hätte?
Was, wenn Tugenden wie Zuhören und Zurückhaltung in Stockholm und Bad Orb gut ankommen, in Teheran und Tripolis aber nicht goutiert werden? Was dann? Sollte es uns nicht zu denken geben, dass Shimon Peres´ Traum vom „Neuen Nahen Osten“ in Oslo und Washington (PLO-Gewaltverzicht, wir erinnern uns?) blühte, aber dann leider an der brutalen Realität in Beirut und Gaza-City zerschellte? Was, wenn Hamas-Raketen aus dem Süden und Hisbollah-Raketen aus dem Norden das winzige Israel in Schutt und Asche legen würden? Barenboim würde es überleben, er schwingt dann vielleicht gerade in der Staatsoper Berlin den Taktstock, und seine Söhne verzehren eine Schneckenmahlzeit in Frankreich, während die Hamburger ZEIT-Redakteure gerade ihre Schreibtische verlassen, an denen sie in der Theorie so wunderbar den Nahostkonflikt gelöst haben. Und sie werden irritiert den Kopf schütteln: Da hat David Grossman den Arabern zugehört, und wir alle haben Daniel Barenboim zugehört; die Massen im Orient aber haben Erdogan zugehört und Ahmadinedschad und den Mullahs und Hasspredigern im Radio und im Fernsehen und in den Moscheen. Wirklich ärgerlich! Dafür schreiben wir dann aber einen richtig zu Herzen gehenden Nachruf. Was die Macht des Wortes betrifft, macht uns so schnell keiner was vor.
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