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Archive for the ‘Lektüretipp’ Category

The Israeli Solution

Caroline Glick, israelische Journalistin amerikanischer Herkunft, erklärt die Zweistaatenlösung für gescheitert – und plädiert stattdessen für eine bisher kaum erörterte Option.

Wie nennt man eine Abfolge von antijüdischer Hetze, unfassbar heimtückischen Terroranschlägen in großem Stil und darauf folgenden Antiterrormaßnahmen, einseitigen israelischen Zugeständnissen, die von Gesten des bösen Willens beantwortet werden, Märtyrerglorifizierung und fruchtlosen Gesprächen?

Richtig: „Friedensprozess“.

Der nahöstliche „Friedensprozess“, vor zwei Jahrzehnten ins Leben gerufen, spaltete von Anfang an. Für naive Gemüter bedeutete er nicht weniger als das Ende des israelisch-arabischen Konflikts; für diejenigen am anderen Ende des Spektrums (vulgo: ultrarechte Friedensfeinde) war er eine Totgeburt und seine Folgen wurden in düsteren Farben ausgemalt. Die dazwischen klammerten sich an die Hoffnung, es werde schon irgendwie gutgehen, schließlich sei die „Zweistaatenlösung“ gewissermaßen alternativlos.

20 Jahre nach Arafats Ankunft in den Gebieten, nach einer weiteren „Intifada“ mit Tausenden von Terroranschlägen und ebenso vielen Toten, nach Arafats und Abbas´ Ablehnung sämtlicher Kompromissvorschläge und dem unverhohlenen Versuch, den jüdischen Staat auf allen möglichen Umwegen zu bekämpfen weiß man, jedenfalls in Israel, dass die Skeptiker – leider – Recht behalten haben. Hinzu kommt, dass die im arabischen Raum nahezu täglichen Bekenntnisse zur Vernichtung Israels im Westen nicht zur Kenntnis genommen werden, ebenso wenig wie die antijüdische Hetze in palästinensischen Kindergärten, Schulen und sämtlichen Medien. Außerhalb der Palästinensergebiete, insbesondere im Libanon und im Iran, sieht es nicht besser aus. Klar scheint: So, wie es ist, kann es wohl nicht weitergehen. Zwar können beide Seiten aus verschiedenen Gründen gar nicht so schlecht mit dem Status Quo leben, dennoch wird er gemeinhin als unerträglich empfunden – Dutzende von mit großen Hoffnungen entworfenen und wieder eingestampften Friedensplänen sprechen eine deutliche Sprache. Die gute alte „jordanische Option“ wäre nach wie vor attraktiv – mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass Jordanien nicht mitmachen würde.

Die palästinensische Lösung – Israel löst sich in Wohlgefallen auf oder wird überrannt und vernichtet, um eine vermeintliche Ungerechtigkeit der Geschichte zu tilgen – stößt wiederum in Israel auf wenig Gegenliebe. Ein bedingungsloser Abzug der Israelis aus sämtlichen im Präventivkrieg 1967 eroberten (manche sagen: befreiten) Gebieten, wie er von nicht wenigen Wahnsinnigen gefordert wird, hätte unweigerlich den nächsten Krieg in Rekordzeit zur Folge. Mein persönlicher Favorit (die Palästinensergebiete werden von einigen wenigen Nationen, in denen die Vernunft noch zuhause ist, unter Kuratel gestellt und unter ihrer Verantwortung mit Demokratie und zivilgesellschaftlichen Normen bekannt gemacht, bis eines Tages friedliche Koexistenz möglich ist, was allerdings ein, zwei Generationen dauern kann) wird unverständlicherweise so gut wie gar nicht in Erwägung gezogen.

Zeit, die verbliebenen Optionen zu erörtern.

1. Die Zweistaatenlösung – ein Staat für die seit den 70er-Jahren als Palästinenser bezeichneten Araber und einer als nationale Heimstätte des jüdischen Volkes. Sie ist aufgrund der zahllose Male unter Beweis gestellten arabischen Weigerung, sich dauerhaft mit der Existenz des Staates Israel abzufinden, auf absehbare Zeit nicht zu realisieren.

2. Eine Teilannexion der umstrittenen Gebiete in Judäa & Samaria / Westjordanland (es handelt sich hier um die großen Siedlungsblöcke in Nähe der ehemaligen Waffenstillstandslinien), derzeit in Israel etwa vom nationalreligiösen Politiker Naftali Bennett ins Gespräch gebracht, oder ein größerer einseitiger Rückzug Israels wäre eine weitere Option; viele Israelis sind allerdings aufgrund der Erfahrungen mit militärischen Rückzügen (Teile der Westbank ab 1994, Libanon 2000, Gaza 2005,), die allesamt mit Terroranschlägen, massivem Raketenbeschuss israelischer Ortschaften und Kidnappings israelischer Soldaten zwecks Gefangenenfreipressung beantwortet wurden, nicht wirklich erpicht auf die möglichen Folgen. Zumal nicht einmal militärische Maßnahmen als Reaktion auf Attentate und Raketenangriffe von der Welt goutiert werden.

3. Bleibt die Option, die Westbank zu annektieren. Die dort ansässige Bevölkerung zu vertreiben (wie es bei einem umgekehrten Kräfteverhältnis zweifellos geschehen würde und auch 1948/49 bereits geschah), kommt in Israel so gut wie niemandem in den Sinn; also wären die Palästinenser einzubürgern. Eine Aussicht, die die meisten Israelis schreckt – schließlich haben sie sich aus Sorge, irgendwann zur Minderheit im eigenen Land zu werden, überhaupt auf den verhängnisvollen „Friedensprozess“ eingelassen, der dann mehr Opfer gefordert hat als die Zeit davor. Die Politik der Abkopplung, der die meisten Israelis derzeit anhängen, hat zum Ziel, sich lieber früher als später von den Gebieten – bzw. 90 Prozent plus X von ihnen – zu trennen.

Hier setzt Caroline Glick an. Die vor allem als Hardcore-Kolumnistin der Jerusalem Post bekannte Journalistin plädiert für eine Annexion Judäas und Samarias, sowohl aus historischen Gründen als auch im Rahmen des Internationalen Rechts (das, anders als gemeinhin angenommen, keineswegs die Ansprüche der Palästinenser stützt). Israel sei dann vielmehr „legitimer Souverän, nicht Besatzungsmacht“. Das Entscheidende dabei ist: Glick behauptet, die größte Sorge der Israelis – im Rahmen einer Einstaatenlösung dereinst zahlenmäßig unterlegen zu sein – entbehre ihrer Grundlage. Der Knackpunkt sei, dass die als real hingenommene Zahl der Palästinenser in Judäa & Samaria / Westbank um mindestens 50 Prozent übertrieben sei. Sie beruhe auf getürkten Statistiken des PCBS (Palestinian Cantral Bureau of Statistics) aus dem Jahr 1997, in denen die Zahl der Palästinenser aus politischen Gründen hochgejazzt worden sei. So habe man Jerusalemer Araber sowie Exilpalästinenser mitgezählt, ebenso wie Palästinenser aus den Gebieten, die nach Eheschließungen mit Arabern aus Israel dorthin zogen und seither israelische Staatsbürger sind, und die Geburtenrate viel zu hoch angesetzt: Zwischen 2001 und 2011 sei etwa die Fertilitätsrate in der Westbank um mehr als ein Viertel gesunken, von 4,08 Kindern pro Frau auf 3,05; in Gaza von 5,69 auf 4,74. Die Zahlen stattdessen aufzublasen, geschah offensichtlich in der Absicht, Druck auf die Israelis auszuüben, die sich vor der „demographischen Zeitbombe“ fürchteten.

War die Zahl der in Judäa, Samaria und Gaza lebenden Palästinenser schon um 1,34 Millionen Köpfe zu hoch angesetzt, so Glick unter Berufung auf diverse durchaus glaubwürdige Statistiken, so wurden die Hochrechnungen für die nächsten Jahrzehnte ebenfalls entsprechend inflationiert. Dabei sei die vermeintliche „demographische Bombe“ in Wahrheit ein Blindgänger. Von diesem Punkt hängt Glicks Argumentation entscheidend ab: Ihre „Israeli Solution“ kann nur funktionieren, wenn die jüdische Mehrheit in Israel dauerhaft sichergestellt ist. Diese sieht vor, dass Gaza draußen bleibt; Glick verzichtet dankend, u.a. wegen der mangelnden historischen Bindung des jüdischen Volkes an das Gebiet und wegen des mutmaßlich zu gewärtigenden Kleinkriegs, in den Israel nach einem Sturz der dort herrschenden Hamas verwickelt würde. Man habe es also nur mit den Palästinensern diesseits des Jordans zu tun, deren Zahl, siehe oben, inflationiert sei: Statt der behaupteten 2,42 Millionen Araber lebten nur 1,41 Millionen in der Westbank. Ein Argument, das jedem einleuchtet, der häufiger durch das fragliche Gebiet gereist ist – menschenleere aride Gegenden, kleine Dörfer, einige wenige größere Städte – und sich gefragt hat, wo zum Henker sich die angeblich zweieinhalb Millionen Palästinenser wohl versteckt haben mögen.

Die Zahlen, die Caroline Glick anführt, sollen ihre These stützen, dass bei einer Annexion Judäa und Samarias (noch einmal: nicht Gazas!) und dem Angebot an alle dort lebenden Araber, israelische Staatsbürger zu werden, dennoch eine solide jüdische Zweidrittelmehrheit gewährleistet sei.

Nun ist die Frage, wie seriös Caroline Glicks demographisches Modell ist. Vielleicht liegt sie richtig, vielleicht liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte; dass die Zahlen des PCBS stimmen könnten, wäre nach aller Erfahrung mit der unverfrorenen palästinensischen Propaganda eine Sensation. Aber auch wenn Glick richtig läge: Wäre eine Zweidrittelmehrheit für Israel beruhigend oder überhaupt wünschenswert? Ja, sagt die Autorin; die neuen arabischen Mitbürger würden sich – wie die bereits in Israel existente arabische Bevölkerung von 1,7 Millionen – anpassen und die Vorteile des Lebens in einer liberalen, pluralistischen Demokratie zu schätzen wissen. Die älteren unter den Westbank-Palästinensern könnten sich noch gut an die Vorteile der „israelischen Besatzung“ erinnern. Damals konnte man sich als Palästinenser in Israel relativ frei bewegen, die meisten hatten dort einen Job, im Bildungs- und Gesundheitswesen verbesserte sich die Lage immens, die Urbanisierung nahm zu. Wie trostlos dagegen die Gegenwart: Unter der Herrschaft der PLO werden Kritiker drangsaliert, „Kollaborateure“ hingerichtet, wird die Jugend auf den „Heiligen Krieg“ gegen die Juden eingeschworen, verschwinden Milliardenhilfsgelder aus dem Ausland in den Taschen der herrschenden Gruppen.

Man kommt nicht umhin, Caroline Glick in den meisten Punkten zuzustimmen. Sie schätzt die Natur dieser Gruppen, von der vermeintlich gemäßigten Fatah bis zur islamistischen Hamas, im Gegensatz zu simplen Gemütern im Westen völlig richtig ein; sie skizziert deutlich den Charakter und das zweifelhafte Lebenswerk palästinensischer Nationalheiliger wie dem Großmufti Hadsch Amin el-Husseini und Yassir Arafat ebenso wie dem derzeitigen „Palästinenserpräsidenten“ Mahmoud Abbas, der die Attentäter von München 1972 finanzierte, in seiner Doktorarbeit den Holocaust leugnete, 40 Jahre lang Arafats Pudel war und heute Terroristen vor laufender Kamera zu Helden erklärt und üppig auszahlt (mit unser aller Steuergeldern übrigens). Sie beobachtet sehr genau die „wenig hilfreiche“ respektive unselige und schändliche Rolle Europas und die Naivität der US-Regierungen, die seit 20 Jahren meinen, Appeasement gegenüber der arabischen Welt und Druck auf Israel könnten sie in der nahöstlichen Region beliebter machen – nur um festzustellen, dass Amerika dort längst als taumelnder Riese wahrgenommen wird, der seinen einzigen Verbündeten, Israel, schmählich im Stich lässt. Die Ansicht Obamas, der israelisch-palästinensische Konflikt sei für die Instabilität der Region verantwortlich (statt zu erkennen, dass es sich genau umgekehrt verhält, dass nämlich die grausamen Zustände in der arabischen Welt den Nahostkonflikt perpetuieren), geißelt Glick zu Recht als blauäugig. Und die Tendenz, die Schaffung eines Palästinenserstaates unter allen Umständen zu unterstützen – gleichgültig ob mit oder ohne Hamas, mit oder ohne Anerkennung des israelischen Existenzrechts, mit oder ohne Ablehnung des Terrorismus – sieht sie als verheerend an.

Natürlich spielt Glick die möglichen Reaktionen im Fall einer Durchsetzung der „israelischen Lösung“ durch: die der Palästinenser selbst, der Ägypter und Jordanier (Friedensverträge!), Syrer (Bürgerkrieg!), Libanesen (Hisbollah!), die voraussichtliche Reaktion Europas. Sie fallen, je nach Voraussetzung, mehr oder weniger unangenehm bis kaum juckend aus, wobei der gern bemühte „Flächenbrand“ auch hier ausbleiben dürfte. Entscheidend sei jedoch, dass die USA zu ihrem strategischen Verbündeten Israel stünden, mit dem man gemeinsame Werte teile. Die Wiedervereinigung Jerusalems nach dem Sechstagekrieg 1967, die Erklärung, Jerusalem bleibe „unteilbare Hauptstadt“ (1980) und die Annexion der Golanhöhen (1981) hätten international einigen Wirbel heraufbeschworen, seien aber letztlich ohne gravierende Folgen geblieben.

Von der Welt trotz des fortgesetzten PLO- und Islamistenterrors, der Weigerung, Israel anzuerkennen und der palästinensischen Intransigenz während sämtlicher „Verhandlungen“ im Stich gelassen, täte Israel gut daran, endlich zu tun, was in seinem Sinne sei. Und die USA – schließlich richtet sich Glicks Publikation an ein amerikanisches Publikum – täten gut daran, den One-State Plan zu unterstützen, auch und gerade aus Eigeninteresse. Natürlich wisse sie, so die Autorin, dass auch ihr Vorschlag nicht ohne Nachteile sei und möglicherweise Risiken beinhalte; angesichts der Tatsache, dass alle bisherigen Lösungsversuche krachend gescheitert seien, habe das Szenario aber sehr viel für sich.

Da auf absehbare Zeit keine Situation denkbar erscheint, in der, wie in einer biblischen Vision, der Löwe friedlich neben dem Lamm ruhen könnte (es sei denn, man gibt dem Löwen jeden Morgen ein frisches Lamm), ist diese Argumentation nicht ganz von der Hand zu weisen. Und angesichts des allzu oft erlebten Procederes, dass alles, was Israel unternimmt oder unterlässt, auf meist bösartige bis absurde Kritik trifft, wären selbst die harschesten Reaktionen auf die Umsetzung von Glicks Plan zu verschmerzen. Ob die Israelis aber auf ihrer Suche nach einem Ausweg aus der vollkommen verfahrenen Situation früher oder später diese oder ähnliche Optionen in Betracht ziehen könnten, hängt weniger von ihnen selbst ab als davon, ob die Palästinenser von ihren feuchten Träumen lassen oder in ihrer Verweigerungshaltung verharren – und was der Westen, der diesen Irrsinn finanziert, aus dem Debakel der vergangenen 20 Jahre zu lernen bereit ist.

 

Caroline Glick:
The Israeli Solution
A One-State Plan for Peace in the Middle East
New York 2014

 

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Alle Jahre wieder: eine Auswahl empfehlenswerter Bücher zum Selberlesen und Verschenken. Da ich im zu Ende gehenden Jahr ein kleines Vermögen für – hauptsächlich – historische bzw. zeitgeschichtliche Sachbücher (fast ausschließlich angloamerikanischer Autoren) ausgegeben habe und einige wirklich sehr gute darunter waren, springen diesmal doppelt so viele Tipps (genau 20) dabei heraus. Für Freunde des gepflegten Romans ist, das ist einschränkend zu sagen, leider gar nichts dabei.

 

Charles C. Mann:
Kolumbus´ Erbe
Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen

Wohl niemand hat seinerzeit geahnt, welche Folgen die Entdeckung Amerikas global zeitigen könnte. Dass die indigenen Völker der Neuen Welt einigen von Europäern eingeschleppten Krankheiten zum Opfer fallen, die aus der Alten Welt eingeführten Pferde die Indianerkulturen prägen, Mais, (Süß-)Kartoffeln, Chili, Zuckerrohr, Kautschuk und Tabak nach Europa und Asien gelangen, Schwarze zu Millionen als Sklaven über den Atlantik verfrachtet, mindestens 100.000 Chinesen zum mörderischen Guano-Abbau auf den peruanischen Chincha-Inseln eingesetzt, die Ankunft neuer Pflanzen und Tiere nur allzu häufig gravierende Veränderungen für Mensch und Natur mit sich bringen würden. Und, und, und. Tolle Schilderung des „Homogenozäns“, also jener Epoche, die eine Angleichung der östlichen und der westlichen Hemisphäre aufgrund des kolumbischen Austauschs mit sich brachte, von Wissenschaftsjournalist Mann auf gut 800 mit lockerer Hand geschriebenen Seiten zu Papier gebracht. Ein Buch, das jede Bibliothek schmückt.

 

Adam Hochschild:
Der große Krieg
Der Untergang des alten Europa im Ersten Weltkrieg

Ein herausragendes unter den vielen jüngst zum 100. Jahrestag des Kriegsausbruchs erschienenen Werken. Leider ist der Untertitel etwas irreführend; es geht keineswegs primär um das, was die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ für die europäischen Gesellschaften bedeutete. Vielmehr zeichnet der amerikanische Journalist Hochschild aus britischer Sicht und auf durchaus fesselnde Weise den Widerstand nach, der sich gegen das sinnlose Schlachten formierte, indem er sich an den Biographien der kämpferischen Protagonisten entlang hangelt, die sich der allgemeinen Begeisterung nicht anschließen mochten – von einem schottischen Führer der Labour Party bis zu einem Teil der Suffragetten-Bewegung. Ihnen gegenüber stellt er Befürworter des Krieges wie Rudyard Kipling, H. G. Wells und Conan Doyle, aber es verwundert nicht, dass die Sympathien des Autors den Pazifisten jener Zeit gehören.

 

David Gilmour:
Auf der Suche nach Italien
Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart

Ein Muss für jeden, der ein Herz hat für „das Land, wo die Zitronen blüh´n“. Der Italien-Kenner Gilmour, auch er Brite, erzählt wirklich sehr schön eine Geschichte des Landes unter besonderer Berücksichtigung der Eigenarten seiner Regionen und macht keinen Hehl aus seiner Einschätzung, dass das Risorgimento nicht unbedingt von Vorteil für die Entwicklung Italiens war. Zu unterschiedlich seien die Regionen, wie er schon in der Einleitung mit einer Anekdote unterstreicht. Da meint ein älterer Herr, einst Richter und Politiker, Garibaldi habe Italien einen Bärendienst erwiesen: „Wäre er nicht in Sizilien und Neapel einmarschiert, hätten wir heute im Norden den reichsten und zivilisiertesten Staat Europas… Natürlich hätten wir dann im Süden einen Nachbarn wie Ägypten.“

 

Colin McEvedy:
Städte der klassischen Welt
120 Zentren der Antike von Alexandria bis Xanten

Das posthum erschienene Werk zeichnet „ein umfassendes Bild der antiken Stadtkultur in der klassischen Welt“. Zu jeder Stadt weiß der britische Historiker und Demograph Erhellendes über Geschichte, Topographie und Bevölkerung zu erzählen, zu jeder hat er eigens Karten angefertigt. Nichts, was man in einem Stück lesen würde, aber ein feines Nachschlagewerk für alle, die an antiker Geschichte interessiert sind.

 

David Abulafia:
Das Mittelmeer
Eine Biographie

Eine hochinteressante Geschichte des Mittelmeeraums, zwar eher konventionell (nicht trocken!) geschrieben, aber voller Informationen und schöner Anekdoten – von den Reisen des Odysseus bis zu den Lampedusa-Flüchtlingen. Dazu so schön, dass man sich nicht vorstellen kann, so etwas als E-Book anzuschaffen – auch wenn das praktischer sein mag als der 960-Seiten-Ziegel aus dem Hause S. Fischer.

 

Ian Morris:
Wer regiert die Welt?

Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Faulheit, Gier und Angst treiben die menschliche Entwicklung voran, so Morris´ These zur Entwicklung neuer Maschinen und Produktionsprozesse zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten. Seine Interpretation, warum der Westen in den vergangenen Jahrhunderten überlegen war und jetzt dabei ist, diesen Vorsprung wieder einzubüßen (Originaltitel: „Why the West Rules – For Now“), schließt eine ausführliche Betrachtung der gesamten menschlichen Geschichte ein, ist interdisziplinär dick unterfüttert und auch sprachlich ein Genuss – ein Buch, das auf jeder Seite neue Einsichten vermittelt und das man daher gar nicht mehr aus der Hand legen möchte.

 

Ian Morris:
Krieg
Wozu er gut ist

Was Steven Pinker in „Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit“ bereits eindrucksvoll belegte, nämlich dass die Gewalt im Verlauf der menschlichen Geschichte, mit gelegentlichen Ausreißern, tendenziell abgenommen hat, thematisiert auch Morris, wenn er postuliert, dass Kriege trotz aller Schrecken, die sie mit sich bringen, sich durch ihre Folgen (Bildung größerer Reiche, Gewaltmonopol des Staates) langfristig positiv auf den Prozess der Zivilisation und die Sicherheit des Individuums auswirken. Und wie bei Pinker fasziniert auch bei Morris die Belesenheit des Autors und seine Eleganz im Ausdruck.

 

Antony Beevor:
The Second World War

Ohne jeden Zweifel mit die beste Gesamtdarstellung des Zweiten Weltkriegs – ein ganz großer Wurf, der allerdings jene Leser, die Beevors Werke „Stalingrad“, „D-Day“ und „Berlin 1945: Das Ende“ kennen, nicht überrascht haben dürfte. Ein Standardwerk für alle Zeiten.

 

Max Hastings:
All Hell Let Loose
The World at War 1939-1945

Dasselbe Thema wie bei Beevor – und gleich diesem das Beste, was dazu je erschien. Nicht nur äußerst packend geschrieben, auch randvoll mit teilweise eher nicht bekannten oder angemessen gewichteten Informationen und wirklich alle Aspekte des Themas ausleuchtend.

 

Reza Aslan:

Zelot
Jesus von Nazaret und seine Zeit

Noch eine Jesus-Biographie? Warum nicht, jedenfalls wenn sie so rasant geschrieben ist und einen eher vernachlässigten Ansatz verfolgt: den historischen Jesus von Nazareth vom im wesentlichen von Paulus erschaffenen Jesus Christus zu trennen. Dass der in Persien geborene amerikanische Religionswissenschaftler Aslan sich durch die Darstellung Jesu als jüdischen Revolutionär nicht nur Freunde machen würde, war vorauszusehen. Für den einschlägig vorgebildeten Leser ist das wenigste neu, dennoch hochinteressant, was die Interpretation etlicher überlieferter Aussagen des Nazareners anbelangt. So löst sich mancher vermeintliche Widerspruch auf, wenn man ihn im historischen Kontext betrachtet.

 

Ranulph Fiennes
Scott
Das Leben einer Legende

Grandiose Biographie des tragisch gescheiterten Polarforschers Robert Falcon Scott – und gleichsam eine Ehrenrettung. Nachdem der mit seinen Männern im antarktischen Eis zugrunde gegangene Scott zunächst als Held verehrt, später heftig als verantwortungslos kritisiert wurde, würdigt Ranulph Fiennes (übrigens tatsächlich um ein paar Ecken mit den Schauspielern Ralph und Joseph Fiennes verwandt) Scotts Leistung auf der Grundlage selbst durchgeführter Polarexpeditionen. Hochspannend.

 

Giles Milton:
Weißes Gold
Die außergewöhnliche Geschichte von Thomas Pellow und das Schicksal weißer Sklaven in Afrika

Weiße Sklaven? Oh ja, die gab es: Bis zu eine Million Weiße – vorwiegend Küstenbewohner in Portugal, Spanien und Italien, aber auch auf den britischen Inseln sowie Schiffsbesatzungen im Mittelmeer und im östlichen Atlantik – wurden ab Mitte des 16.Jahrhunderts von Barbareskenpiraten nach Nordafrika, in etwa das heutige Marokko und Algerien, verschleppt und von Sklavenhändlern verkauft, u.a. um vom Sultan bei großen Bauvorhaben eingesetzt zu werden oder als Soldaten zu dienen. Viele überlebten es nicht. Am Beispiel Thomas Pellows, eines englischen Jungen, der 1716 von muslimischen Korsaren als Sklave nach Meknes gebracht wurde, schildert Milton ihr Schicksal. Übrigens: Erst im Jahr 1816 wurde dem muslimischen Sklavenhandel ein rasches Ende bereitet – auf eine Art und Weise, die dem Spirit of Entebbe entspricht.

 

Henryk M. Broder:
Die letzten Tage Europas
Wie wir eine gute Idee versenken

Eine EU-Schelte, wie man sie von Broder erwarten darf: gnadenlos die Finger auf die Wunden legend, ohne Respekt vor der hehren Vorstellung Europas, wie sie den Brüsseler Bürokraten vorschwebt, und so sarkastisch, wie sie dem Gegenstand ihrer Betrachtung angemessen ist. Das einzige, was man dieser äußerst kurzweiligen Abrechnung vorwerfen kann: Sie ist mit 222 fluffig zu lesenden Seiten viel zu kurz geraten. Dabei ist doch jeder Tag, den der Herr werden lässt, dazu geeignet, dem Buch ein weiteres Kapitel hinzuzufügen.

 

Roger Moorhouse:
Berlin at War
Life and Death in Hitler´s Capital, 1939-45

Unverständlicherweise immer noch nicht in deutscher Übersetzung erschienen: Moorhouses Buch über alle relevanten Aspekte des Kriegsalltags für die Berliner Bevölkerung, von den teils kriminellen Folgen, die die Verdunkelung nach sich zog (Stichwort: der „S-Bahn-Mörder“) über den grassierenden Hunger infolge der Lebensmittelrationierung und das Leben mit den Luftangriffen bis zur Bespitzelung durch die Gestapo und den noch heute unfassbaren Terror gegen die jüdische Bevölkerung. Sehr eindringlich geschildert und auch für jene, die sich schon ausführlich mit dem Thema beschäftigt haben, alles andere als langweilig.

 

Stacy Schiff:
Kleopatra
Ein Leben

Weithin gelobtes Buch der Pulitzer-Preisträgerin über die letzte Herrscherin der Ptolemäer-Dynastie; auch aller Mythen entkleidet bleibt noch genug übrig, was man an der hochgebildeten Griechin (!) faszinierend finden kann.

 

Niall Ferguson:
Der falsche Krieg
Der Erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert

Gesamtdarstellung des Krieges und seiner Ursachen inklusive der immer noch umstrittenen Schuldfrage – gewohnt brillant geschrieben. Bin noch nicht ganz durch, gebe aber gern eine uneingeschränkte Leseempfehlung ab.

 

Ross King:
Michelangelo und die Fresken des Papstes

Ein sehr schönes Buch über die Entstehung der Deckenfresken in der Sixtinischen Kapelle – man erfährt höchst Interessantes über die Maltechniken in der Renaissance, über den schwierigen Charakter Michelangelos und die ambivalente Beziehung des Künstlers zu Papst Julius II.; macht Lust, sich den in Vergessenheit geratenen Hollywoodstreifen „Inferno und Ekstase“ aus dem Jahre 1965 (mit Charlton Heston und Rex Harrison) anzuschauen, der eben dies zum Thema hat.

 

Gerald Drissner:
Als Spion am Nil
4500 Kilometer ägyptische Wirklichkeit

Dass ein Deutscher, der große Sympathie für Land & Leute hegt, sich einen klaren Blick auf die Unzulänglichkeiten wie die wirklich hässlichen Seiten des Landes bewahren kann, beweist der Journalist Gerald Drissner mit der Beschreibung seiner Reisen durch Ägypten. Kenntnisreich und auch als Erzähler überzeugend, bringt Drissner uns den ägyptischen Alltag nahe. Wirklich niederschmetternd: der gemeine Antisemitismus, der auch 35 Jahre nach dem Friedensvertrag mit Israel gang und gäbe ist.

 

Jared Diamond:
Vermächtnis
Was wir von traditionellen Gesellschaften lernen können

Wie handhaben indigene Gesellschaften wie etwa in Neuguinea, Australien oder auf Pazifikinseln Themen wie Kindererziehung oder Umgang mit den Alten, wie lösen sie Konflikte, welche Rolle spielen Religion und Sprache? Der Geograph, Evolutionsbiologe und Anthropologe Jared Diamond („Arm und Reich“, „Kollaps“) beschreibt die vormodernen Kulturen etwa der Yanomami und der ǃKung, erliegt dabei jedoch nicht – wie viele Anthropologen – der Versuchung, die Jäger- und Sammlergesellschaften zu idealisieren.

 

Giancarlo Gasponi:
Rome
The Fascination of Eternity

Zum Abschluss etwas für´s Auge: ein großartiger neuer Bildband für alle Fans der – für mich – neben Jerusalem wohl faszinierendsten Stadt der Welt: Rom. Nicht nur als optisch Eindruck schindendes Coffeetable-Book geeignet, sondern als anregende Einstimmung auf eine Rom-Reise und zum In-Erinnerungen-schwelgen nach einer solchen. Ein echtes Juwel im Schuber – mit einem feinen Essay zu Beginn, grandiosen Fotos im Kern und interessanten Bild-Erläuterungen im Anhang.

 

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Richard Herzinger auf seinem WELT-Blog über den gerechtfertigten Sturz der Muslimbrüder in Ägypten. Unbedingt lesen – ähnlich Kluges wird man von Claus Kleber, Marietta Slomka & Co. nie hören.

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Fremde Federn: Zettels Raum

Yassir Arafat und kein Ende. Gegackert wurde im vergangenen Sommer und Herbst viel – ein Ei wurde bis heute nicht gelegt. Andreas Döding über eine Farce mit Ansage.

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Einige der Bücher, die ich zuletzt mit Gewinn gelesen habe, empfehle ich auch dieses Jahr gern zur Lektüre. Um sie jemandem unter den Baum zu legen, dürfte es beinahe zu spät sein, aber falls Sie z.B. das neue Buch von Shlomo Sand geschenkt bekommen sollten, ist dieses Machwerk unbedingt gegen eines der folgenden Bücher einzutauschen.

 

Ganz oben auf der Liste steht natürlich „Vergesst Auschwitz! Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israelfrage“ von Henryk M. Broder. Erklärung überflüssig.
Sodann, vorausgesetzt, Sie haben ein Faible für maritime Themen, „Der Atlantik. Biografie eines Ozeans“ von Simon Winchester (Autor von „Der Mann, der die Wörter liebte“). Daraus erfährt man u.a. allerlei Wissenswertes über die Entdeckungsfahrten der frühen Neuzeit, die Geschichte des Walfangs, Piraterie, Ozeanographie, Seekriege, die Verlegung des Transatlantikkabels und den Niedergang der Passagierschifffahrt; glänzend geschrieben und gespickt mit Anekdoten.
Großartig auch Niall Ferguson: „Der Westen und der Rest der Welt“ – hier wird erklärt, wie die westliche Welt wirtschaftlich, militärisch und kulturell die dominante Stellung erlangte, derer sie langsam verlustig zu gehen droht, weil ehemals rückständige Länder gerade dabei sind, uns mit unseren eigenen Waffen zu schlagen.
Auf dem weihnachtlichen Gabentisch möchte man „Hitler“ von Ian Kershaw vermutlich ebenso ungern liegen sehen wie „Goebbels“ von Peter Longerich. Gleichwohl sind die beiden sehr umfangreichen Biographien äußerst lesenswert.
Während der Planung einer Rom-Reise stieß ich auf „Quattro Stagioni. Ein Jahr in Rom“ und „Arriverderci, Roma! Ein Jahr in Italien“ von Stefan Ulrich. Im erstgenannten Buch beschreibt der ehemalige Italien-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung die turbulente Akklimatisierungsphase in seinem Lieblingsland, im anderen beschreibt er diverse Erlebnisse vor seinem Wechsel nach Paris. Sehr warmherzig, kenntnisreich und wirklich angenehm humorvoll erzählt Ulrich vom italienischen Alltag, selbst stets hin- und hergerissen zwischen seiner Liebe zum Land und dem Wissen um gewisse Unzulänglichkeiten, die sie einem nicht immer leicht machen.
„Die Wende. Wie die Renaissance begann“ von Stephen Greenblatt empfehle ich ebenfalls gern. Ein sehr schönes Buch, das nicht umsonst mit dem Pulitzerpreis und dem National Book Award ausgezeichnet wurde.
Als harte, aber notwendige Lektüre stellte sich „Neukölln ist überall“ von Heinz Buschkowsky heraus. Kein literarischer Leckerbissen, aber ein eindringliches Plädoyer zum Gegensteuern auf dem Gebiet einer „Einwanderungspolitik“, die lange nicht stattgefunden hat. Die Folgen muss Buschkowsky, müssen vor allem die Bewohner „sozialer Brennpunkte“ nun ausbaden. Der Autor, Sozialdemokrat von altem Schrot und Korn, lamentiert aber nicht herum, sondern analysiert mit klarem Kopf die Ursachen für die Misere und zeigt zahlreiche Mittel und Wege auf, um sie in den Griff zu bekommen.
Und eben gelesen: das Büchlein „Carl Tohrbergs Weihnachten“ von Ferdinand von Schirach mit drei bemerkenswerten Kurzgeschichten, die mich neugierig auf sein Buch „Schuld“ gemacht haben.

Postscriptum: Nach dem Motto „Das bisschen, was ich lese, schreib ich mir selber“ muss ich noch auf ein hübsches E-Book aufmerksam machen. Vom Autor dieser Zeilen sind nämlich auch ein paar Texte dabei.

 

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Danke, Herr Herzinger!

Sie sagen es.

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Fremde Federn: Elder of Ziyon

Auf dem formidablen Blog EoZ, der ohnehin zur täglichen Pflichtlektüre empfohlen sei, wird verraten, wer nichts dagegen hat, dass Ma´aleh Adumim im Rahmen einer Friedenslösung auf israelischem Territorium verbleibt und dass eine Verbindung zwischen Jerusalem und der 36.000-Einwohner-Stadt geschaffen wird. Und ebenso anschaulich wird gezeigt, warum ein Staat Palästina – anders als immer wieder behauptet – durch die Bebauung von E 1 keineswegs „in zwei Hälften geteilt“ würde.

Hier irrt die Kanzlerin, irrt Herr Polenz sowieso. Eine künstliche Aufregung, die nicht schöner ad absurdum geführt werden könnte.

 

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Fremde Federn: Richard Herzinger

Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist.

(Ferdinand Lassalle)

Wie wohltuend, dass inmitten eines allgemeinen Klimas der Dummheit und der Feigheit sich hin und wieder noch einige klare Köpfe zu Wort melden. Richard Herzinger sagt in der WELT genau das, was ich sonst an dieser Stelle gesagt hätte – abseits aller Plattitüden, Beschwichtigungen, Vernebelungen und lächerlichen Selbstbezichtigungen. Manchmal reicht ein nüchterner Blick auf das Geschehen.

Lesen, ausdrucken, kopieren, weiterverschicken und -erzählen! Vielleicht gibt es weniger Idioten, als man glaubt.

Update: Herzinger legt noch einmal nach. Famos!

 

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Jaffa-Orangen waren gestern. Israel hat sich längst zu einem modernen Wirtschaftswunderland gemausert, der Begriff „Silicon Wadi“ steht für das Gewerbegebiet nördlich von Tel Aviv, in dem sich Israels erfolgreiche Hightech-Unternehmen angesiedelt haben. Ein kürzlich auch in deutscher Übersetzung erschienenes Buch erklärt, was hinter dem erstaunlichen Wandel des Landes steckt. Anton Niehoff hat es für SoE rezensiert.

 

„Start-up Nation“ von Dan Senor und Saul Singer befasst sich mit dem Phänomen eines kleinen Landes: mit nur 7,1 Millionen Einwohnern hat es nicht nur die höchste Dichte an Hightech-Start-ups in der Welt (eines pro 1.844 Einwohner), sondern mehr Unternehmen an der US-Technologiebörse NASDAQ notiert als die Länder des gesamten europäischen Kontinents zusammen. Pro Kopf wird zweieinhalbmal mehr Risikokapital investiert als in den USA (und mehr als 30mal mehr als in Europa). Das Buch handelt von Israel, und es erklärt, warum dieses Land in den letzten 50 Jahren so viele erfolgreiche Innovationen hervorgebracht hat wie kein anderes.

Wie viele andere Länder hat auch Israel erkannt, dass Innovationen ein gutes Umfeld brauchen. Exzellenzcluster mit Nähe zu Universitäten, Großunternehmen und Start-ups sind ebenso wichtig wie Zugang zu einem Pool von Talenten und zu Venture Capital – aber diese Bedingungen finden sich auch in den USA, zahlreichen europäischen Ländern und in Asien, etwa in Singapur oder Korea.

Israel zeigt, dass die makroökonomischen Faktoren allein nicht ausreichen. Ausführlich schildern die Autoren, wie die Geschichte des Landes zu diesem außergewöhnlichen Phänomen beigetragen hat. So wanderten z. B. immer wieder Juden aus aller Welt ein, die unterschiedliche Talente und kulturelle Prägungen mitbrachten und die ihren Platz und ihre Beschäftigung finden mussten, egal wie gut oder schlecht die ökonomische Situation gerade war. Und natürlich ist auch die Tatsache von Bedeutung, dass das Land ständigen Bedrohungen durch seine Nachbarn ausgesetzt ist.

In Israel herrscht daher eine sehr spezielle Kultur der Führung, des Risikomanagements und vor allem der Eigeninitiative: „Wenn ein israelischer Unternehmer eine Geschäftsidee hat“, beschreiben die Autoren diese Einstellung, „dann wird er noch in der gleichen Woche mit der Umsetzung beginnen.“ Dazu passt, dass eine typische Hightech-Neugründung in Israel etwa zehnmal mehr Startkapital erhält als ein vergleichbares Unternehmen in Europa – und dass die Fluktuationsrate dieser Neugründungen fast zehnmal so hoch ist wie in den USA. Neue Ideen werden rigoros in der Praxis getestet und entweder verworfen oder beständig verbessert.

Hinzu kommt, dass Israelis es gewohnt sind, in Teams zu arbeiten, sich zu vernetzen, und es vor allem selbstverständlich finden, Autoritäten, Lehrmeinungen und Gewohnheitsdenken beständig zu hinterfragen und herauszufordern.

Europäische Leser können aus dem Buch durchaus Gewinn ziehen. Zum einen schildert es auf hohem analytischen Niveau die vielen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen, die das kleine Land gemeistert hat und bietet so eine völlig neue Sicht auf Israel, das hierzulande nur auf der Folie des Nahostkonflikts wahrgenommen wird. Zum anderen bietet es auch persönlich nützliche Einsichten. Denn während makroökonomische Faktoren nur langsam geändert werden können, hat es jede Firma, jeder Unternehmer und jeder Gründer selbst in der Hand, persönliche Einstellungen und Unternehmenskultur zu ändern. Denkanstöße dafür bietet das Buch zur Genüge, und deswegen ist es eine höchst anregende Lektüre.

 

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Ohne Blabla

Eine für deutsche Verhältnisse bestechende Analyse von Hans Rühle auf Welt online: Welche militärischen Optionen Israel hat, wenn die Gefahr einer iranischen Atombewaffnung akut wird. Die Kommentarspalte sollte tunlichst ignoriert werden, nach dem Motto: Don´t argue with idiots. They´ll drag you down to their level, then beat you with experience.

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