Die Bluttat von Utøya ist ein klassisches hate crime – wie die zahllosen Bluttaten radikaler Islamisten auch.
An einem Freitagabend des Sommers 2001 sprengte sich Said Hotari, ein junger Palästinenser mit Verbindungen zur Hamas, am Strand von Tel Aviv inmitten einer Menschenmenge in die Luft. 21 der zahlreichen Teenager, unter die er sich vor einer Diskothek gemischt hatte, wurden durch die Explosion zerfetzt, 132 kamen mitunter schwer verwundet davon. Das Massaker vor dem Dolphinarium war nur eines von vielen. Mehr als tausend Israelis wurden während der „Al-Aqsa-Intifada“ ermordet, viele weitere tausend verstümmelt, traumatisiert bis heute.
Das Internet vergisst nichts. Noch heute lässt sich nachlesen, wie man in gewissen Kreisen auf diesen Terror reagierte, und das schließt die Anschläge auf New York und Washington mit ihren 3000 Opfern mit ein. Die üblichen Verdächtigen vor allem aus der linken Ecke des politischen Spektrums redeten selten von Terror, man eierte herum, sprach von „Extremisten“ oder „Militanten“ und wenn doch mal vom Terror, dann als „Waffe der Schwachen“ (so Uri Avnery und seine „offizielle Übersetzerin“ Ellen Rohlfs) bzw. „Waffe der Ohnmächtigen“, wie der Moraltheologe Eugen Drewermann es formulierte. So schrieb Avnery vier Tage nach 9/11:
Es gibt kein Patentmittel gegen Terrorismus. Das einzige Gegenmittel ist, seine Ursachen zu beseitigen. Man kann eine Million Moskitos totschlagen, Millionen weiterer werden sie ersetzen. Um sie loszuwerden, muss man den Sumpf trockenlegen, der sie hervorbringt. Und das ist immer ein politischer Sumpf. (…)
Niemand wacht eines Morgens auf und sagt sich: Heute werde ich ein Flugzeug kapern und mich töten. Und niemand wacht eines Morgens auf und sagt sich: Heute jage ich mich in einer Tel-Aviver Disco in die Luft. Eine solche Entscheidung wächst im Kopf eines Menschen langsam heran, braucht Jahre. (…)
Die Initiatoren der Angriffe entschieden sich für die Verwirklichung ihres Plans, weil Amerika weltweit ungeheueren Hass provoziert hat. Nicht seiner Macht wegen, sondern wegen der Art, in der es diese Macht gebraucht. Es wird gehasst von den Gegnern der Globalisierung, die es für den schrecklichen Abgrund verantwortlich machen, der sich zwischen den Reichen und den Armen dieser Welt auftut. (…)
Dein Terrorist, mein Verzweiflungstäter
In den letzten zehn, zwanzig Jahren wurden bei einer satten fünfstelligen Anzahl von islamistisch motivierten Terroranschlägen Hunderttausende Menschen ermordet. Dennoch weigerte sich das juste milieu beharrlich, religiösen Fanatismus und Hass auf Juden, Amerikaner oder den Westen allgemein als Motivation der Massenmörder zur Kenntnis zu nehmen. Und wenn schon Hass, dann hat er verständliche Ursachen: Die USA und Israel haben ihn provoziert, und die soziale Kluft zwischen Arm und Reich bewegt Al-Qaida zu einer globalisierungskritischen Aktion wie der Zerstörung der Twin Towers. Wer´s glaubt.
Die Reaktionen auf das nicht minder unfassbare und verbrecherische Massaker, das der Norweger Anders Breivik vor anderthalb Wochen – nein, keineswegs an Muslimen, sondern vor allem an fast 70 Teilnehmern eines Jugendlagers der norwegischen Sozialdemokraten – verübte, fielen hingegen ganz anders aus. Wir reden an dieser Stelle nicht von dem absurden und schändlichen Versuch, so genannten Islamkritikern eine geistige Urheberschaft für den Massenmord in die Schuhe zu schieben, sondern von den Worten, die man für die massenmörderische Tat fand: Aus grünen Kreisen etwa war zu vernehmen, jetzt müsse man den Rechtsextremismus bekämpfen. Nun ist bislang eher davon auszugehen, dass Breivik ein Einzeltäter war, aber dem Rechtsextremismus den Kampf anzusagen, ist immer eine gute Idee, und wenn man schon mal dabei ist, sollte man endlich auch die NPD verbieten statt sich vor Angst, diese armseligen Gestalten könnten dann in den Untergrund gehen, in die Hosen zu machen. Man wünschte sich allerdings, dass Frau Roth & Co. ganz ähnlich auch auf muslimischen Terror reagierten und entsprechend zum „Kampf gegen den radikalen Islamismus“ aufriefen. Statt dessen rückt man in ihrem Milieu Leute, die genau dies tun, in die geistige Nähe Breiviks. Dies Heuchelei zu nennen, wäre die Untertreibung des Jahres.
Immerhin war jetzt explizit von Terror die Rede, von Hass, von Fanatismus, von einer kranken Ideologie – und all das stimmt natürlich. So wie es stimmt, dass Breivik ein verachtenswertes Subjekt ist, nicht anders übrigens als Said Hotari, ebenfalls ein religiöser Fanatiker, der Dutzende junger Menschen abschlachtete. Allerdings kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es für „Gutmenschen“ offensichtlich einen Unterschied macht, wer wen umbringt, um feinsinnig zwischen Terroristen und Militanten unterscheiden zu können. Während man für Tausende islamistischer Terroristen Verständnis aufbringt, nach Erklärungen sucht, die Opfer gar selbst für ihr Schicksal verantwortlich macht, Terror als „Waffe der Schwächeren“ faktisch legitimiert, darf der einsame Rechtsterrorist Breivik hier nicht auf Milde hoffen. Man kann sich den kollektiven Stoßseufzer der Erleichterung lebhaft vorstellen, als sich herausstellte, dass es sich beim Urheber des Massakers von Utøya ausnahmsweise einmal nicht um einen islamistischen Fanatiker handelte sondern – endlich! – um einen aus dem anderen Lager, einen, dem man sich weit ferner fühlt als den „Aktivisten“ von Al-Qaida, Hamas, Hisbollah und allen anderen ach so Mühseligen und Unterdrückten.
Mord bleibt Mord, Schuld bleibt Schuld
Was Anders Behring Breivik in seinem 1500-Seiten-Traktat verzapft hat, ist nicht mehr und nicht weniger wert als der Inhalt der RAF-“Bekennerschreiben“ in den 70er-Jahren oder der djihadistischen „Märtyrervideos“ unserer Tage. Man muss sich das nicht antun, allen ist gemeinsam, dass der Terrorist zu rechtfertigen versucht, was nicht zu rechtfertigen ist. Natürlich wacht, um noch einmal auf Uri Avnery zurückzukommen, kein Mensch morgens auf und entschließt sich zum Massenmord. Der Mordgedanke reift tatsächlich mit der Zeit, nur reift er im Ungeist radikalen Gedankenguts heran und eben nicht als verständliche Reaktion auf etwaiges erlittenes Unrecht. Terrorismus ist immer ein Verbrechen, ob er von links kommt oder von rechts oder von religiösen Extremisten. Leider wird auch der Fall Breivik nichts daran ändern, dass der nächste islamistische Anschlag in Europa oder in Israel oder in Mittelasien oder Nordafrika oder wo auch immer nicht als Resultat einer kranken Ideologie zur Kenntnis genommen wird. Wahrscheinlich finden sich sogar genügend Idioten, die ein solches Massaker als vorhersehbare Antwort auf Breiviks Tat verbuchen, obwohl sich dieser seine Opfer, noch einmal: nicht etwa unter Besuchern einer Moschee oder eines islamischen Kulturzentrums gesucht hat, sondern unter jugendlichen Landsleuten.
Kaum vorstellbar, dass Avnery und Gesinnungsgenossen auch im Fall des norwegischen Kindermörders dazu aufrufen könnten, „die Ursachen des Terrors zu beseitigen“. Wie auch? Sollte man dem Möchtegernkreuzritter etwa zuhören, sich mit seinen „Argumenten“ auseinandersetzen? Ihm vielleicht sogar entgegenkommen und Muslime aus Europa hinausdrängen? Natürlich nicht, ebenso wenig wie der Judenhass in der Charta der Hamas irgendeinen Anspruch auf Legitimität und offene Diskussion im Stuhlkreis hat.
Terrorismus ist nicht die Waffe der Schwachen, sondern ein mörderisches Mittel fanatischer Verbrecher, e basta. Anders Breivik und Said Hotari sind sich ähnlicher, als sie sich je hätten vorstellen können. Nur bezeichnet Jens Breivik (ein ehemaliger Diplomat, was einmal mehr unterstreicht, dass Terror gewiss nicht zuvörderst in den Niederungen unterprivilegegierter Schichten gedeiht) seinen Sohn als Terroristen, mit dem er nichts mehr zu tun haben wolle, während Hassan Hotari den seinen als Märtyrer und Helden verehrt:
The Hotaris are preparing for a party to celebrate the killing of 21 Israelis this month by their son, a suicide bomber. Neighbors hang pictures on their trees of Saeed Hotari holding seven sticks of dynamite. They spray-paint graffiti reading „21 and counting“ on their stone walls. And they arrange flowers in the shapes of a heart and a bomb to display on their front doors. „I am very happy and proud of what my son did and, frankly, am a bit jealous,“ says Hassan Hotari (.). „I wish I had done (the bombing). My son has fulfilled the Prophet’s (Mohammed’s) wishes. He has become a hero! Tell me, what more could a father ask?“
Allein diese vielsagende Fußnote sollte bei jedem denkenden Menschen sämtliche Alarmglocken schrillen lassen. Während kaum vorstellbar ist, dass sich noch weitere Breiviks in Europa finden werden, da eine Tat wie die seine von der Gesellschaft verabscheut wird, wird uns der islamistische Terror, diese Prognose wagen wir, noch lange Jahre begleiten. Im Unterschied zur Bluttat von Oslo und Utøya ist er keineswegs das Werk eines durchgeknallten Einzeltäters, er wurzelt in einer knallharten politischen Ideologie, er sucht sich seine Opfer weltweit und erfreut sich Millionen Sympathisanten. Es wäre eigentlich mal an der Zeit, diese Gefahr ernster zu nehmen als es im Westen derzeit der Fall ist. Allein, mag die Mordtat eines Breivik auch die gleiche sein wie die eines Hotari, ihre Bewertung ist es leider nicht. Fortsetzung folgt, garantiert.
Sehr schöner Text, Claudio!
Spricht mir aus der Seele und wird seinen Weg durch meinen Emailverteiler finden!
Danke!
Kann mich @Deinnis nur anschließen.
Das Problem ist, dass die Sympathisanten von Said Hotari sogar unter ethnischen Deutschen und Norwegern zu finden sind. Oder kennt jemand einen deutschen resp. norwegischen Israelhasser, der wegen des Anschlags vor Delpinarium eine Empathie für die jungen Opfer empfand?
Die Opfer von Breivik konnten mit Sicherheit mit allg. Mitgefühl der Deutschen rechnen. Und das ist der Unterschied zwischen den beiden Fällen. Ein toter Jude (oder Israeli) ist für die Mehrheit der Deutscher (und auch Norweger) im gewissen Sinne selber Schuld für sein Schicksal. Anders als die soz-dem. norwegischen Jugendlichen die in „keinem Apartheidstaat“ lebten und mit moralischen Überlegenheit über die Boykottmaßnahmen gegen Israel diskutieren dürften. Wer dagegen ruft zum Boykott von norwegischen Pullovers und Lachs? Niemand!
Und was verzapfte denn Jostein Gaarder, der Träger des Willy-Brandt-Preises? Steckt kein Extremismus in diesen Wörtern?:
„Wir glauben nicht an die Idee eines von Gott auserwählten Volkes. Wir lachen über die Hirngespinste dieses Volkes und weinen über seine Untaten. Als Gottes auserwähltes Volk zu handeln ist nicht nur dumm und arrogant, sondern ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wir nennen es Rassismus…“
„Der Staat Israel hat jedoch, mit seiner skrupellosen Kriegführung und seinen abscheulichen Waffen, seine eigene Legitimität massakriert. Er hat internationales Recht, internationale Konventionen und unzählige UN-Resolutionen zum Gespött gemacht, und kann nicht länger Schutz von diesen erwarten[…]“
„Wir erkennen den Staat Israel nicht an. Nicht heute, nicht im Moment, da wir dieses schreiben, nicht in der Stunde von Trauer und Zorn. Wenn die gesamte israelische Nation ihrem eigenen Handeln erliegen sollte und Teile der Bevölkerung aus den besetzten Gebieten in eine neue Diaspora fliehen müssen, dann sagen wir: Mögen die Umgebenden gelassen bleiben und ihnen Gnade erweisen. Es ist ein ewiges Verbrechen ohne mildernde Umstände, die Hand an Flüchtlinge und staatenlose Völker zu legen […]“
Man möge sich vorstellen, wie die Reaktion der Welt aussehen würde, hätte ein bedeutender israelischer Schriftsteller (wie z.B. Kaniuk, Grossman, Oz) ähnliche Ansichten zu Ambitionen der Palästinenser nach einem Bombenanschlag in Tel-Aviv geäussert.
Nu aber… was ein Norweger folgenlos über Israel sagen darf und was ein Israeli über Palästinenser NIE sagen darf sind zwei gaaanz unterschiedlichen Themen.
Ein hervorragender Beitrag! Schön, dass sie sich wieder zurückmelden. Ich dachte schon, dieser Blog endet sowie No blood for Sauerkraut oder Band of brothers. Hoffentlich bleiben sie noch lange im Bloggeschäft!
Sehr guter Kommentar, Claudio – wie immer.
Ja, ich nehme auch an, dass der islamistische Terror uns weiter erhalten bleibt. Und der Begriff von Avnery, Drewermann & Co für den Terror: „Waffe der Schwachen, der Ohnmächtigen“ ist nichts weiter als zynisch und menschenverachtend.
Der islamistische Terrorismus ist für die Islamisten ein ganz „stinknormales“ politisches Kampfmittel.
Und der Terror hat seine Ursachen nicht in Elend und Verzweiflung einzelner Individuen, sondern darin, dass sich die große Gruppe der islamistischen Fanatiker dem Rest der Welt moralisch überlegen fühlt.
Kürzlich gab es eine ausführliche Doku auf Phoenix über Bin Laden, mit seinen Videos, in denen er junge Muslime zum Jihad auffordert. In den Lehr-Videos wurde gezeigt, nach welchen Kriterien diese jungen Männer für Selbstmordattentate rekrutiert und darin ausgebildet werden – bis hin zu den Testamenten, die sie schon mal probehalber verfassen und dann voller Stolz vorlesen: „Allah hat das so gewollt!“
Also nix mit spontaner Verzweiflungstat!
@Claudio,
Kompliment. Sehr sorgfältig geschrieben!
—-
@alle, weil Claudio auch Eugen Drewermanns Reaktion auf 9/11 gestreift hatte:
Zum Thema „Drewermann und Konsorten“ kann ich jedem Leser Henryk M. Broders Buch „Kein Krieg, nirgends: Die Deutschen und der Terror“ empfehlen. Drewermann wird dort ab Seite 15 zitiert. Ihm widmet HMB ein eigenes Kapitel. Dazu kommen noch andere Berühmtheiten wie Wolfgang Benz, Grass etc….; grandios geschrieben – in Form eines Gedächtnis-und Tonbandprotokolls:
Ich habe zum Buch noch im Erscheinungsjahr 2002 eine Rezension auf Amazon geschrieben (andere Leser natürlich auch):
http://www.amazon.de/review/R10JBDLKSRON26
Wurde zwar nicht allzu großartig bewertet, aber immerhin.
Mich erstaunt beim Lesen meiner damaligen Zeilen, dass sie geschlagene 9 Jahre alt sind. So vergeht die Zeit…..
Grüße
Bernd
„Während kaum vorstellbar ist, dass sich noch weitere Breiviks in Europa finden werden, da eine Tat wie die seine von der Gesellschaft verabscheut wird“
Den Optimismus kann ich leider nicht teilen. Denn hier wird ein entscheidender Unterschied zwischen Said und Breivk uebersehen. Waehrend fuer Said und seinesgleichen die Unterstuetzung von Seiten der Bevoelkerung DER entscheidende Motivationsfaktor darstellt, stellt sich das ganze fuer paranoide Charakter wie Breivik gerade entgegengesetzt dar: Ablehnung durch die „Masse“ ist ihr Treibstoff. Breivik wollte durch seine Tat wachruetteln, und aehnlich kranke Geister moegen die duchgaengige Ablehnung dieser Tat als Erfordernis deuten, dass es eines noch viel staerkeren Wachruettelns bedarf. Beispiel USA: Obwohl die Taten des Una-Bombers verabscheut wurden hat das McVeigh nicht von seine bestialischen Tat abgehalten.
Dass die Anzahl der Breiviks, die sich in Europa finden moegen, gegen die Anzahl der Saids fast verschwindend gering ausnimmt, das bezweifle ich allerdings auch nicht.
Ansonsten eine aeusserst treffende Analyse, Glueckwunsch.
Willkommen zurück im Netz, Sie haben mir gefehlt.
Und dann bin ich mal auf die Erklärungen des vereinten Gutmenschenpacks gespannt, wenn der Typ hier ernst machen wollen sollte:
http://www.haolam.de/?site=artikeldetail&id=6049
Hoffentlich macht irgendjemand ihn vorher unschädlich.
C C (Claudio Casula): Die zwei mir liebsten Initialen seit Claudia Cardinale!!
Konnte wieder jedes Jota unterschreiben,bitte mehr und wieder öfter.Danke!
Uri Avnery mit seiner unsäglichen Übersetzerin haben auch zu Norwegen wieder Unsägliches verfasst…..
http://www.uri-avnery.de/news/148/15/Der-neue-Antisemitismus
Tja, Alter schützt vor Torheit nicht. Avnery kann man schon lange nicht mehr ernstnehmen.
Aber interessant, dass er Terror in diesem Fall auf Hass zurückführt. Bei seinen Schützlingen hat er das noch nie getan.
Tja CC, wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht das Gleiche, typisch linkes Vehalten, alle Realitäten ausblenden und nur die seinen gelten lassen. Der Mann sollte sich wirklich zurückziehen, Ernst genommen wird er eh nur bei „antiisraelischen“ Linken, Muslimen und Nazis.
[…] https://spiritofentebbe.wordpress.com/2011/08/01/anders-als-Saeed/ […]