Irgendwann im Lauf des 19. Juli, vielleicht auch später, müssen jemandem im Pressehaus am Hamburger Speersort die Ohren geklingelt haben. Früher am Tag war ein Israeli in der Nähe von Dimona im Negev von einer aus dem Gazastreifen abgefeuerten Rakete getötet worden. Nicht, dass israelische Opfer für deutsche Medien, insbesondere für die ZEIT, ein Thema wären, aber diesmal war es anders: Das Opfer hieß Auda al-Wadj und war Beduine. Offenbar hatte ihn der überraschend effektive israelische Zivilschutz – bestehend vor allem aus Bunkern, dem „Zeva-Adom“-Alarm und dem Raketenschutzschild „Eiserne Kuppel“ – nicht vor seinem Schicksal bewahren können.
Die ZEIT wäre indes nicht die ZEIT, würde sie sich entgehen lassen, daraus eine weitere Geschichte zu konstruieren, die nicht die Palästinenser (die Raketen auf israelische Städte, den Flughafen und den Atomreaktor in Dimona abfeuern und also auch Auda al-Wadj auf dem nicht vorhandenen Gewissen haben) sondern die Israelis in einem schlechten Licht dastehen lässt. Also schickt sie Celestine Hassenfratz nach Südisrael, auf dass sie von einem weiteren Missstand im verdorbenen Judenstaat berichten möge:
„Für Beduinen gibt es keinen Schutz“ heißt der Artikel und er suggeriert, die Beduinen seien Bürger zweiter oder dritter Klasse, um deren Wohlergehen sich niemand kümmere. Wie nicht anders zu erwarten, springt die Meute im Kommentarbereich auf den Text an wie der Pawlowsche Hund auf die Glocke, wittert gleich einen weiteren Beleg für Rassismus im Judenstaat, doch leider handelt es sich nur um ein weiteres besonders trauriges Beispiel für richtig schlechten Journalismus.
Warum? Weil Celestine Hassenfratz es fertigbringt, einerseits zu beklagen, dass Israel versucht, die etwa 210.000 halbnomadisch lebenden Beduinen sesshaft zu machen, andererseits aber den Eindruck erweckt, staatliche Leistungen wie Strom- und Wasserversorgung, Anbindung an öffentlichen Nahverkehr oder eben der in diesen Zeiten lebenswichtige Zivilschutz würden den Beduinen bewusst vorenthalten, eben weil sie keine Juden seien.
Nun verhält es sich mit den Beduinen in Israel so: Knapp die Hälfte von ihnen ist in sieben größeren Städten wie Rachat (12 Kilometer nördlich von Be´er Sheva, mehr als 40.000 Einwohner) beheimatet, die anderen 120.000 in provisorischen Unterkünften, meist Wellblechhütten, die von Zeit zu Zeit ab- und woanders wieder aufgebaut werden, wie es sich für Nomaden gehört. Die sesshaft gewordenen Beduinen sind mit allem versorgt, was sie zum Leben benötigen, ihre Kinder können der Schulpflicht nachkommen, einige hundert Beduinen studieren an der Universität Be´er Sheva. Nicht wenige dienen freiwillig in der israelischen Armee. Hier sei der Beduine Ismail Kaldi zitiert, der im diplomatischen Dienst tätig ist.
I am a proud Israeli – along with many other non-Jewish Israelis such as Druze, Bahai, Bedouin, Christians and Muslims, who live in one of the most culturally diversified societies and the only true democracy in the Middle East. Like America, Israeli society is far from perfect, but let us deals honestly. By any yardstick you choose—educational opportunity, economic development, women and gay’s rights, freedom of speech and assembly, legislative representation—Israel’s minorities fare far better than any other country in the Middle East.
Sicher nicht die Sorte von Beduinen, die Celestine Hassenfratz interessieren könnte. So wie die Palästinenser im Gazastreifen einen Krieg gegen Israel beginnen und sich beschweren dürfen, sobald Israel zum Gegenangriff übergeht, muss in diesem Fall jemand her, der mit Israel nichts am Hut hat, ein Palästinafähnchen in der Wohnung aufhängt, einen Hamas-Sender im Fernsehen einschaltet – und der deutschen Reporterin sein Leid klagt: Keinen Schutz hätten sie, die Beduinen, barmt Sleman, ganz so, als sei es der Staat Israel traditionell immer wieder ihren Wohnort wechselnden Bürgern schuldig, neben jede der manchmal kilometerweit voneinander entfernt stehenden provisorischen Behausungen eine Iron-Dome-Batterie aufzustellen oder einen Bunker zu bauen. Damned if you do, damned, if you don´t: Will Israel die Beduinen aus guten Gründen sesshaft machen, ist das ein Affront gegen die traditionelle Lebensweise der Nomaden, aber wenn diese mitten in der judäischen Wüste oder im Negev ein Problem haben, ist wiederum der Staat zu belangen – schließlich fahren die Linienbusse nicht jedes Zelt und nicht jede Wellblechhütte an, und mit den staatlichen Leistungen sieht es hier auch ganz mau aus!
Der Prawer-Plan wird, wen wundert´s, nur am Rande gestreift, selbstverständlich auf die negativen Aspekte oder unterstellten bösen Absichten der Regierung in Jerusalem fokussierend. Es bleibt dem Leser Tim Kochmüller vorbehalten, einen substanziellen Beitrag zur Situation zu leisten:
Es gibt in der Negev eine beduinische Gesellschaft im Übergang: Nomadische Hüttensiedlungen (legal, da temporär als Sommer- oder Winterlager) koexistieren mit nicht genehmigten Steinhaus-Siedlungen ohne Infrastruktur und ausgebauten Beduinen-Städten und Dörfern mit weitestgehender Versorgung.
Das wäre der ZEIT allerdings schon zuviel der Information gewesen. Sie möchte den Eindruck erwecken, die Zerstörung ohne Baugenehmigung errichteter Häuser sei so etwas wie eine verdammenswerte Willkürmaßnahme des Staates; kein Wort über die nachträgliche Anerkennung einiger dieser Siedlungen, die gerade im Sinne des Prawer-Plans auf eine ordentliche rechtliche Basis gestellt werden sollen, und natürlich verzichtet die Autorin auch darauf, ein Statement irgendeiner staatlichen Autorität einzuholen. Klar, dass auch die Behauptung, so wie auf dem Sender der Hamas laufe im israelischen Fernsehen „nur Propaganda“, nicht weiter hinterfragt wird. Man könnte es zwar mal nachprüfen, aber die Reporterin belässt es bei der Anmerkung, das sei jedenfalls die Meinung ihres Gastgebers.
Nicht nur, dass Hassenfratz der offensichtliche Widerspruch zwischen ihren beiden Hauptanklagepunkten nicht auffällt; auch die einfachsten Regeln journalistischer Sorgfaltspflicht scheinen ihr durchaus verzichtbar, wohl weil sie Recherche für ein französisches Schimpfwort hält. So wie die damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands Margot Käßmann das Verbot, besoffen Auto zu fahren und bei Rot über die Kreuzung zu brettern, nur als unverbindliche Empfehlung betrachtet haben mag, sieht man bei der ZEIT, jedenfalls wenn es um Israel geht, den Pressekodex als antiquierte Richtlinie an, die im Fall des Falles getrost ignoriert werden darf. Wo solche Geister zu Hause sind, wird auch stets der Orchesterleiter Daniel Barenboim als erste Instanz angerufen, wenn es um den nahöstlichen „Friedensprozess“ geht. Und Theo „Ted“ Sommer, der Editor-at-large, kann zwar nicht einmal eine korrekte Steuererklärung einreichen, weiß aber dafür ganz genau, wer die Schuld am Nahostkonflikt trägt, dass die Israelis keine Ahnung davon haben, was gut für sie ist, ja dass sie sich selbst gefährden, und stellt ansonsten klar, wie der ganze Balagan zu lösen ist: indem man allen Forderungen der Palästinenser nachgibt.
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