In unserer abgelegenen Ecke Nordisraels sehen wir selten mal ein Flugzeug – das letzte Mal flog die Luftwaffe am Unabhängigkeitstag über ganz Israel und also auch über unsere Gegend. Heute jedoch knatterte eine ganze Weile ein Hubschrauber direkt über unserem Garten. Seltsam, dachte ich, hat das was zu bedeuten?
In der Tat. Es war der Probeflug des Black Hawk, der am Dienstag Gilad Shalit in seinen Heimatort bringen wird, auf dem Hügel gegenüber von unserem Örtchen. Ich werde Dienstag also die Tür zum Garten offenhalten und den Blick nach oben richten.
(Die Gefühle zu diesem Deal sind so stark und so gemischt aus Freude und Schmerz, daß ich vermutlich nur mit zeitlichem Abstand mehr dazu sagen kann. Außerdem ist schon mehr als genug gesagt und geschrieben worden…)
„(Die Gefühle zu diesem Deal sind so stark und so gemischt aus Freude und Schmerz, daß ich vermutlich nur mit zeitlichem Abstand mehr dazu sagen kann. Außerdem ist schon mehr als genug gesagt und geschrieben worden…)“
Wie gut ich dich verstehen kann. Lass uns einstweilen einfach hoffen, dass der Deal gut über die Bühne geht.
Ach Lila –
mir gehts genau so, auch wenn ich über mir keinen Hubschrauber sehe und höre.
Vor allem hab ich immer noch eine leise Angst, ob Gilad Shalit überhaupt noch lebt. Und wenn ja – wie wird es seiner Seele gehen? Was ist aus seiner Persönlichkeit geworden? Wie hat er sich verändert in diesen 5 Jahren Isolierhaft?
Mir fällt dazu wieder die große Jubiläums-Feier der Hamas zum Jahresanfang ein: Da marschierten die „mutigen tapferen“ Hamas-Terroristen durch Gaza, und zum Schluss wurde ein Double von Gilad Shalit mitgeschleppt (ein Palästinenser, der ihm ein bisschen ähnlich sah und so gekleidet wurde wie er).
Und alle Palästinenserer grölten und beklatschten den „Gilad Shalit“ als Vorführobjekt.
Sie fühlten sich alle sehr stark, weil sie meinten, dass sie ihn „besäßen“ …
Naomi (ich vermiss deinen Blog sehr arg) 😉
Er lebt – das haben zumindest die Ägypter Israel versichert. Er wird sich verändert haben, so eine Erfahrung hinterläßt tiefe Spuren. Aber er ist nicht der erste Mensch, der sich nach langer Haft unter schweren Bedingungen wieder im freien Leben zurechtfinden muß. Ich hoffe, daß auch er die inneren Kräfte findet und es schafft.
Er wirkt auf den Bildern und nach Berichten seiner Freunde und Nachbarn genauso still und introvertiert wie seine Eltern. Ich vertraue auf die Kraft der Stillen und hoffe das Beste für ihn. Er ist noch jung. Das bedeutet einerseits, daß fünf Jahre für ihn eine riesige Spanne sind – andererseits bedeutet es auch, daß er in der besten Phase seines Lebens ist, um die Erfahrung zu verkraften.
Ich denke auch an Ron Arad, an Guy Chever, an Majdi Chalabi, an die, deren Familien vielleicht niemals wissen werden, was mit ihnen geschah.
ich denke an die Opfer der Verbrecher, die jetzt freikommen – ich weiß nicht, inwieweit die deutschen Medien thematisieren, was für Verbrechen diese Leute auf der Kappe haben. Wenn ich mir überlege, wie lange Haftstrafen die im Vergleich dazu harmlosen Spinner der RAF in Deutschland verbüßt haben, frage ich mich , ob Deutschland einen solchen Deal gemacht hätte. Und weiß, daß die Antwort höchstwahrscheinlich nein lautet. So viel zur mangelnden Kompromißbereitschaft Israels.
Ich denke auch an die Folgen, an die Möglichkeit eines Terrorangriffs durch einen der Männer und Frauen, die morgen unter dem gerührten Lächeln der Weltöffentlichkeit aus ihren Gefängnissen mit Fern-Uni, medizinischer Betreuung und regelmäßigen Besuchen in die Freiheit zurückkehren. Wie werden wir dann die Toten begraben, deren Mörder wir in die Freiheit gelassen haben? Denn resozialisierbar im klassischen Sinne sind diese Häftlinge nicht. Sie sind überzeugte Terroristen, die zu ihren Taten stolz stehen. Und ich habe ihre Freilassung gefordert, ich wie über 80% der israelischen Frauen.
Weil wir in den Soldaten nicht in erster Linie die Beschützer des Landes sehen, die ihr Leben dafür in die Schanze schlagen, daß wir Zivilisten sicher leben können und der Staat funktionieren kann. Wir sehen sie in erster Linie als unsere Kinder, die wir schützen müssen. Weil sie ja unsere Kinder SIND.
Dieses Dilemma ist fast unauflösbar. Wenn ich Aviva Shalit zuhöre, die „der Junge“ sagt, wenn sie von Gilad spricht, habe ich gleichzeitig zwei Reaktionen. Einerseits denke ich an meine Jungen und wie schrecklich es wäre, wenn wir in der Lage der Shalits wären – was wir ohne weiteres sein könnten. Andererseits denke ich, der Junge trägt Uniform und ist kein Junge mehr, sondern Angehöriger einer Armee und mehr als nur eine Privatperson in tragischen Umständen. Avivas Junge ist auch Soldat. Ja, und auch meine Jungen sind Soldaten. Die logische Konsequenz ist brutal.
Ja, und ich denke auch an das Versprechen der Hamas, weitere Soldaten zu kidnappen, gern auch mal eine junge Frau. Mit diesem Austausch ist das Problem ja keineswegs gelöst, im Gegenteil – jeder neue Deal, in dem wir mehr geben als je zuvor, ermutigt schon die nächste lohnende Aktion.
Und ich verstehe die Israelis, die die Einführung bzw Anwendung der Todesstrafe für überführte, verurteilte mehrfache Terror-Mörder fordern. Einfach um diese Pfänder aus dem Spiel zu nehmen. Wir werden es trotzdem nicht tun. Nur Eichmann ist in Israel zum Tode verurteilt worden, in anderen Fällen werden mehrere lebenslängliche Strafen verhängt.
Aber unser Rechtssystem wird zur Farce, wenn diese verurteilten Mörder, die mit ihren Taten noch strunzen und im Gefängnis Anhänger um sich versammeln und versuchen, Kontakt zu ihren Organisationen aufzunehmen, nach lächerlich wenigen Jahren freikommen.
Trotzdem sehe ich nicht, daß zu dieser Lösung gegriffen wird. Es wäre ja auch keine echte Lösung. Statt der Häftlinge würden dann andere Pfänder ins Spiel gebracht. Die Todesstrafe wird nicht kommen. Und grundsätzlich bin ich ja froh, in einer Gesellschaft zu leben, die ohne Todesstrafe auskommt. Trotzdem bleibt das Dilemma. Was weiter?
Tamir Pardo und Yoram Cohen (Mosad- und Shabak-Chef) meinen, sie können uns wirksamer vor Terror schützen als vor zehn Jahren. Die Armee meint, daß die Maßnahmen zur Verhinderung von neuen Geiselnahmen greifen. Wenn ich für oder gegen den Deal stimmen könnte, würde auch ich dafür stimmen. Ein Blick auf den schlaksigen Jungen in Hamas-Uniform, der seinen Brief verliest und seiner Familie versichert, daß er sie liebt und vermißt, reicht. Ich kann nicht dagegen sein. Die meisten Israelis können es letzten Endes nicht. Auch die, die jetzt um einen Aufschub bitten, würden Gilad nicht im Gazastreifen verkimmeln lassen.
Die Bauchschmerzen, die der Austausch uns bereitet, sind schmerzhaft.
Nach diesem Austausch müssen wir in eine Grundsatzdiskussion einsteigen.
Und damit habe ich doch einen Großteil der Dinge, die mir durch den Kopf gehen, aufgeschrieben. Nicht, als ob sie nicht ohnehin jedem denkenden Menschen klar wären.
Denke an Hanns Martin Schleyer. Deutschland hat den Deal nicht gemacht. Nicht vor 35 Jahren. Heute fädelt Deutschland solche Deals ein und nennt sie „humanitär“.
Was Netanjahus Deal betrifft: Das Herz ist dafür, der Verstand dagegen.
Die RAF-Terroristen waren keineswegs harmlose Spinner – auch nicht im Vergleich zu den Schlimmsten der jetzt Freigelassenen. Diese Hamas-Mörder sind zwar bestialischer als die RAF-Terroristen, aber letztlich rohes, primitives Fußvolk, das nie an die Spitzen des israelischen Staates herankäme. Die RAF-Mörder hingegen waren hochintelligente Terror-Kader, die jahrelang die Sicherheitskräfte einer der höchstentwickelten Demokratien genarrt haben.
Hey Lila, bin zwar nicht gerade derjenige, der die Nachrichten im Teutschenland sehr aufmerksam beobachtet, aber es wurde berichtet, daß Gilad freikommen soll, und das im Gegenzug eben sehr viele (etwa 1000) „Palästinenser“ freikommen. Das war’s.
Die Deutschen haben überhaupt keine Ahnung, was da für ein „Monster“ vor sich geht, für sie ist es „Gefangenenaustausch“; ich glaube nicht, daß „Otto Normal“ auf dem Schirm hat, daß hier ein Unschuldiger gegen über 1000 Verbrecher (darunter etliche verurteilte Mörder) getauscht wird. Hier im Teutschenland sind die Araber eben nur „Gefangene Israels“, „politische Gefangene“ usw.
Der Gerechtigkeit halber sollte es alles herausgestellt werden, aber ich befürchte doch sehr, daß diese hohe moralische Leistung, die wir nun Bibi in Stellvertretung zuzuschreiben haben, nirgendwo als in Israel selbst anerkannt wird.
In Israel aber gibt’s die „gemischten Gefühle“, wie Du besser weißt, und hierzulande interessiert’s eben nur das Häufchen Juden und Freunde, die überhaupt Zeit und Energie aufbringen, eben auch in diesen blogs nachzusehen…
Dein Vergleich zur RAF ist wohl angebracht, aber schon einem normalen Menschen ist es stets leichter einen ‚guten Rat‘ zu geben, als diesem zu folgen. Ein dummer Mensch wiederholt den „guten Rat“ und handelt komplett das Gegenteil – irgendwo dazwischen ist also wohl Deutschlands Regierung (etc) zu sehen…, von der Presse brauchen wir wohl nichts weiter sagen nach sovielen Jahren der „Palästinologie“ (frei nach R.Ambs;) und sonstigen „Standards“, die wir doch so häufig kritisieren.
Lila, ich bin Dir auch dankbar, daß Du die Namen Ron Arad, Guy Chever, Majdi Chalabi … erwähnst, denn das haben hier möglicherweise nichteinmal die Israel zugeneigten auf dem Schirm…
Wenn ich Deine Worte jetzt aus Deinem Kommentar heraus lese, dann komme ich zu einem absurd erscheinenden Gedankengang:
ich fühle mich etwas wie jemand, der in einem Regime lebt, dessen Presse eben nur die vom Regime gewünschten Nachrichten zuläßt, so daß Deine Worte mir wie klares gutes Wasser aus der „freien Welt“ erscheinen in der Wüste einer „Gleichschaltung“ hierzulande.
Das „Regime“ hierzulande ist jedoch viel eher der Presse selbst zuzuordnen, selbst die Regierung verhält sich immer wieder wie ein Tanzbär der Nachrichtenmacher.
(nuja, das sind wohl ‚wechelseitige‘ Beziehungen)
Es kommt zu sowas, wenn der Schein mehr zählt als der Inhalt, die Lüge wird probates Mittel zur Wahrung des Scheins, und die Wahrheit wird in Absurditäten gesucht…
Die „Otto Normalos“ aber suchen nicht nach Hintergründen und tieferen Verständnis, sie sind zufrieden, wenn der Fernseher und PC funktioniert, wenn die Familienangelegenheiten geklärt sind, und wenn die Presse Geschichten erzählt, die man gut in ein eingesessenes Leben integrieren kann.
Hinterfragen ist eben ein zusätzlicher Aufwand, schwierig und möglicherweise noch die gekannte Ordnung umwerfend…
Ist ja nun nicht so, als sollte man die Otto Normalos dafür über die Maßen kritisieren, wir alle wollen nur gut leben, die Presse wiederum sollte solches auch den Bürgern Israels zugestehen, und daher eben gerecht berichten…aber das ist wohl eher ein „Don Quichotte“, der hier nun diese Zeilen schreibt. Deine Worte, Lila, sind so wichtig!
(sorry für den Druck, nimm’s nicht so, als wenn ich was fordern würde, sondern ganz einfach als Kompliment;)
„Nach diesem Austausch müssen wir in eine Grundsatzdiskussion einsteigen.“
Ja, das kann ich mir auch denken.
So stimme ich Dir in Deinen Ausführungen zu (aber das fällt mir bei Dir nie schwer, kann ich inzwischen sagen;), auch eine Todesstrafe wird nicht weiterhelfen; nuja, aber gerade an der Stelle wird es wohl eine Diskussion geben.
Nach halacha (soweit ich mich aus dem Fenster lehnen darf) ist die Todesstrafe Mord, und daher nicht anzuwenden. Der Verurteilte ist in Gefangenschaft keine „akute Gefahr“ mehr, daher ist sein Leben zu schonen.
Jedoch, Handel, wie dieser nun, zeigen, daß jeder Mörder in israelischen Gefängnissen (wenn er Araber/Palästinenser ist) eine Gefahr bleibt…
Nu, wenigstens für die halachische Auslegung sehe ich ein Dilemma…
Aber dies gilt ja nicht dem säkularen Rechtssystem von Israel.
Das nun Gefahren gesteigert wurden (zB Gefahr von Entführungen/Erpreßbarkeit, Stärkung der feindlichen Reihen durch geübte Kämpfer..), halte ich für kurzsichtigen Blödsinn.
Die Gefahrenlage kann nicht gesteigert werden, es sei, daß offener Krieg ausbricht.
So, unabhängig von allen diesen Überlegungen, kann man nur hoffen, daß die Befreiung/Überführung von Gilad gut verläuft, und wir müssen sehr hoffen, daß er sich auch innerlich befreien/überführen kann.
Fünf Jahre in diesem Alter: das ist ein ganzes Leben!
Haschem möge Seine Hand auf Gilads Seele legen.
@ Naomi: Nicht nur du! (alle vermissen die Rungholter Depeschen)
@ Lila: Welch eine Kraft aus der Stille deiner Worte… aber Lila wäre nicht Lila, wenn sie den „Großteil der Dinge, die mir durch den Kopf gehen“ nicht betitelt hätte mit „Blick nach oben“: Immer der Blick der Hoffnung.
ich denke ,und habe viel an gilad gedacht .und in meinem kopf ist auch der isaelische spion in der us haft ,leider habe ich seinen nahmen nicht im kopf.
ich liebe israel.und es zerreist mir das herz.und im gegensatz zu dir a.mor sehe ich grosse gefahr in den terrorristen die nun ´raus kommen.sie werden weiter machen,und ihr gift über all ausschütten.pali charta artikel 10
und a.mor es kommen 1027 terrorristen frei.
natürlich frage ich mich auch wie es ihm gilad geht .wird er es schaffen zurück in sein altes leben zu finden. ist das überhaubt möglich.
Nu, reineke, natürlich ist jeder einzelne von diesen Mördern, Vergewaltigern (usw) schon einer zuviel! Ich wollte nur erklären, daß die Situation mit oder ohne sie schon gefährlich ist.
Auch ich sehe das Ganze doch mit sehr gemischten Gefühlen, es ist schreiende Ungerechtigkeit!, und mindestens jeder von uns weiß das doch genau, und doch scheint dies die beste Lösung gewesen zu sein, die wir erreichen konnten…
Uns bleibt nur es zu akzeptieren und unseres zu tun, um die Situation zu verbessern.
Wir müssen stets wachsam sein, auch wehrhaft, aber ist es nicht auch so unser Wesen? Es bedeutet Rücksicht geben, Respekt erlauben. Machen wir das einfach richtig gut, so wie „ wir können.
„…wird er es schaffen zurück in sein altes Leben zu finden. ist das überhaupt möglich?“
Wenigstens eines erscheint sicher, für Gilad hat ein neues Leben begonnen. Aber ob seine Seele alles das verkraftet? Wir können nur beten und Gilad muß kämpfen. Er hat seine Familie, und das wird ihm wichtige Stütze sein, daß er wieder ganz gesund wird.
Und er kann viel aus seiner Erfahrung lernen und zu großer Weisheit gelangen. Bestimmt wird er es nun auch schwer haben, und einige Menschen werden ihm mißtrauisch begegnen, aber insgesamt, welche bessere Gesellschaft kann er sich in seiner Situation wünschen, als seine Familie und Israel?
Die Liebe seiner Familie „ wird ihn wieder aufrichten!
Wir müssen immer Angst haben vor Mördern usw, aber wir sollen nicht das Vertrauen verlieren. Unser Bund ist unsere Kraft, und wenn wir schon fürchten, so fürchten wir nur einen echadelohejnu; aber Vertrauen ist besser, schwieriger aber besser.
Sie hassen uns, obwohl wir gutes für sie tun; aber sie hassen nicht uns, sie hassen es, daß wir als Menschen noch größere Schwierigkeiten trotzdem besser bewältigen. Sie verachten ihre eigene Schwäche, und aus dem Neid heraus hassen sie uns. Aber sie sollen nicht hassen, sondern aus ihrer Schwäche lernen und erstarken, so wie wir. Dann brauchen sie nicht mehr hassen.
Sie entscheiden, wir entscheiden, jeder für sich, und doch jeder für jeden,